Deadline 24
anerkennend. »Vom Feinsten.«
»Du mischst Großvater Teufelsgras in seinen Tee?« Sally war entgeistert.
»Hm«, nickte Mutter. »Macht glücklich. Nimmt Angst weg. Ruhiges Herz, fester Schlaf.«
»Damit ist jetzt Schluss!«, schrie der Säckchenräuber. »Kein Fingerhut voll wird mehr an den Tattergreis verschwendet! Das Gras ist für uns, hörst du, blindes Huhn – für uns!«
»Nenn meine Mutter nicht blindes Huhn!«, rief Sally empört. »Ihr seid allesamt blinder als sie, sonst wüsstet ihr, dass in der Scheune Tonnen von dem Zeug rumliegen!«
»Was? Wo?«
Sally verdrehte die Augen. »Na, in den Säcken auf der mittleren Tenne natürlich. Wo denn sonst?«
»Verdammt! Zeig sie uns!« Der Mann packte sie grob bei den Schultern, schob sie vor sich her, hastete zur Tür hinaus, die Treppen hinunter zum Hof. Aufgeregt gestikulierend und durcheinanderredend stolperten die anderen hinter ihm her. Keiner der Männer kam auf den Gedanken, Padrino um Erlaubnis zu bitten.
Die ersten hatten den Hof schon erreicht, als es dem Lord endlich gelang, sich Gehör zu verschaffen, indem er schrill durch die Finger pfiff.
»Halt!«, rief er mit schneidender Stimme. »Keiner rührt mir das Zeug an!«
Die Männer blieben stehen, drehten sich um zu ihrem Herrn. »Ich brauche euch nüchtern und bei klarem Verstand«, fuhr Padrino sie an. »Was soll ich mit einem Haufen gehirnverfaulter Kiffer?«
Unmut regte sich unter den Männern. Nicht dass sie ihm direkt widersprachen, doch sie scharrten mit den Füßen, blickten unter sich und grummelten wie eine Horde Schuljungen, denen ein Lehrer die lang ersehnte Pause gestrichen hat.
Der Säckchenräuber, der sich wohl für eine Art Anführer hielt, spürte den unterdrückten Zorn seiner Kollegen und schöpfte daraus Mut. Seine Hände krallten sich in Sallys Schultern, sie stöhnte vor Schmerz, doch er ließ sie nicht los.
»Du schuldest uns ein bisschen Abwechslung, Mylord!«, rief er. »Seit Tagen schleppst du uns durch dieses Höllenland. Wir rackern uns ab, reißen uns für dich den Arsch auf. Wir haben uns das Gras verdient!«
»Ganz recht! Muss ja mal gesagt werden! Genau!« Solche und ähnlich aufsässige Bemerkungen wurden laut.
»Meint ihr?«, sagte Padrino mit einem Anflug von Verletztheit in der Stimme, während er langsam auf seine Leute zuschlenderte. »Ihr wollt mir mitteilen, ich kümmere mich nicht gut um euch, nutze euch aus, verlange Unmögliches?«
Niemand antwortete.
»Meinst du das, Waldo?«
Später fragte sich Sally oft, warum Waldo nicht vor Padrino auf die Knie gefallen war und um Verzeihung gewinselt hatte. Er musste seinen Herrn doch kennen!
Doch Waldo stand da, die Hände in Sallys Schultern gebohrt und schwieg.
»Ist es so, Waldo?«, beharrte Padrino. »Findest du meine Befehle falsch? Hart? Unzumutbar?«
»Nich alle!«, spuckte Waldo aus. »Bloß manche.«
»Ah«, nickte Padrino. »Bloß manche.«
Er wandte sich leicht ab, als müsse er irgendwo in der Ferne nach der Lösung für das gerade aufgetretene Problem suchen, und plötzlich, mit einer unglaublich behänden Drehung seines plumpen Körpers, tat er einen Satz und in seiner Hand blitzte ein Messer.
Jetzt sticht er mich tot!, dachte Sally. Weil ich seinen Männern vom Teufelsgras erzählt habe, sticht er mich tot! Erstaunlich, was man in Bruchteilen von Sekunden alles wahrnehmen kann: Sie hörte jemanden schreien, spürte Waldos verkrampfte Finger, dann ein eigenartiges, keuchendes, hohles Pfeifen, heißes Zeug spritzte ihr auf den Kopf, floss in den Kragen ihres Hemdes. Waldos Hände lösten sich und Sallys Knie gaben nach. Padrino packte sie am Arm und riss sie zur Seite.
»Machst dich ja ganz dreckig«, sagte er angewidert.
Sally sah, wie Waldo umsank, am Boden lag, zuckend an allen Gliedern, das hohle Pfeifen drang aus seinem Hals, das flüssige Zeug auf ihrem Haar, ihrer Haut, ihrem Hemd war sein Blut. Padrino hatte ihm das Messer in die Kehle gestoßen.
»Du solltest baden und frische Sachen anziehen«, schlug der Lord vor.
Das tat Sally. Vorher jedoch übergab sie sich in einer Hofecke, während Monnia ihr die Haare zurückhielt und Carlita ihr den Rücken streichelte.
Später saß sie in ihrem Zimmer, trotz der Hitze in eine Wolldecke gewickelt, denn sie fühlte sich wie im Fieber. Immer wieder tauchte vor ihrem inneren Auge der zuckende Waldo auf. Obwohl sie gebadet hatte, fühlte sie noch immer klebrig sein Blut auf ihrer Haut. Eines wusste sie nun: Padrino hatte nicht
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