Deadline 24
schrecklichen Bilder durch den Kopf, die Padrino heraufbeschworen hatte. Aber vielleicht, dachte sie, war es ja nur so hingesagt, um sie zu erschrecken.
»Hat er es ernst gemeint?«, fragte sie die Frauen.
»Wer hat was ernst gemeint, Schätzchen?«, fragte Marie zurück.
»Padrino. Dass er die Besatzung des Helikopters grausam hinrichten wird, wenn er sie zu fassen kriegt.«
»Ach, Schätzchen«, erwiderte Marie bekümmert. »Die Lords sind anders, sagt man in Esperanza, nicht so wie wir gewöhnliche Leute. Keiner kann wissen, was die ernst meinen und was nicht. Denk nicht mehr dran. Hier!« Sie stellte ein paar Schalen und Teller auf den Tisch. »Füllt euch was ab und bringt auch der Blinden und dem kranken Opa eine Portion. Besser«, fügte sie hinzu, »ihr jungen Dinger lasst euch so wenig wie möglich vor Padrino und seinen Leuten blicken. Wir machen das schon, die Elsa und ich.«
Dankbar beluden Sally und Monnia ein Tablett und schickten sich an, die Küche zu verlassen.
»Willst du mitkommen?«, fragte Sally die kleine Carlita. Unsicher blickte die zu ihren Beschützerinnen. Als beide nickten, strahlte sie und hüpfte hinter den größeren Mädchen her die Treppe hinauf in Sallys Zimmer.
Irgendwie hatte Mutter es fertiggebracht, Großvater weiszumachen, eine ganz normale Handelskarawane sei vorbeigekommen und ruhe sich auf der Farm aus, bevor sie sich auf die anstrengende Weiterreise begab. Er wirkte wie erlöst.
»Endlich«, flüsterte er. Sogar ein paar in Tee aufgeweichte Brotbröckchen ließ er sich füttern, bevor er erschöpft den Kopf wegdrehte. »Müde«, murmelte er, »schrecklich müde. So viele Nächte.« So viele Nächte hatte er vor lauter Sorge nicht mehr geschlafen, sollte das wohl heißen.
Sally summte ihm ein Wiegenlied und dachte, wie merkwürdig sie die Rollen getauscht hatten. Plötzlich war er zum Kind geworden, und sie, Sally, saß an seinem Bett, sang ihn in den Schlaf und verbarg ihre Sorgen vor ihm.
Lange allerdings konnte sie nicht bei ihm bleiben, die Farmarbeit wartete. Mutter, die sich ein paar Minuten Pause gegönnt hatte, kam zurück, und Sally machte sich nach draußen auf, Monnia und Carlita begleiteten sie. Padrino ließ die Mädchen ziehen, empfahl ihnen jedoch nachdrücklich, keine »Blödheiten« zu versuchen, was immer das heißen sollte. Nicht auf die Idee zu kommen, den Helikopter zu warnen, vermutlich. Sally hätte auch gar nicht gewusst, wie das gehen sollte. Eine rote Fahne am Kuppelgitter anbringen? Die hätte die Crew wahrscheinlich nur veranlasst, noch schneller herzukommen. Über Funk mit den anderen Farmen Kontakt aufnehmen? Unmöglich. Erstens funktionierte das Funkgerät immer noch nicht, zweitens hatte Padrino einen seiner Männer als Wache davor postiert.
Sie konnten nichts tun, gar nichts, nur abwarten und hoffen, dass der Helikopter den Lords entkam.
»Bringt frische Früchte und Gemüse mit!«, rief Padrino ihnen nach. »Und schlachtet ein oder zwei Zicklein. Wenn ich heute Abend noch mal Dosenbohnen vorgesetzt bekomme, schlachte ich die Köchin!«
»Fauler Sack!«, schimpfte Monnia, als sie außer Hörweite waren. Sally konnte ihr nur beipflichten. Padrino und seine Männer hielten sich ausschließlich im Haus auf, behaupteten, die Besatzung des Helikopters würde gewarnt, wenn sie plötzlich über der Kuppel auftauchte und fremde Männer herumlaufen sehe. Wahrscheinlich wollten der Lord und seine Männer einfach nur im Kühlen bleiben und ein Nickerchen machen. Was so schlecht allerdings auch nicht war, so hatten die Mädchen das Farmgelände für sich, wenigstens das. Seit diese Kerle aufgetaucht waren, hatte Sally das Gefühl, ihr Haus sei verpestet.
Die Mädchen wässerten die Beete, ernteten zwei Waschkörbe voll Gemüse und versorgten die Ziegen. Carlita war hingerissen von den Zicklein. Sie nahm sie abwechselnd auf den Arm und trug sie herum wie Babys. »Die wirst du doch nicht schlachten, Sally, oder?«, rief sie mit Tränen in den Augen.
»Nie im Leben«, beruhigte sie Sally. »Wir haben noch Würstchen in der Räucherkammer, das muss reichen.«
»Vorhin«, berichtete Carlita, »als du bei deinem Großvater warst, Sally, kam deine Mutter zu mir und wollte wissen, in was für einem Fahrzeug Elsa, Marie und ich fahren. Und wie ich’s ihr gesagt hab, hat sie mich umarmt, ganz fest. Warum hat sie das getan? Sie kennt mich doch gar nicht.«
»Hab ich dir eigentlich schon erzählt, wie der Helikopter uns gerettet hat?«, wich Sally
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