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Deadline 24

Deadline 24

Titel: Deadline 24 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A John
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dann ihrer Tochter. »Für dich«, sagte sie.
    Neugierig öffnete Sally das Säckchen – und die Überraschung machte sie sprachlos. Vaters Kompass! Den hatte sie völlig vergessen, aber jetzt, da sie ihn in der Hand hielt, fiel ihr alles wieder ein. Wie er sie damit hatte spielen lassen, wie er ihr erklärt hatte, wozu man einen Kompass brauchte, wie sie ihn hatte halten dürfen, als sie gemeinsam über die Farm spaziert waren. Einmal hatte er eine Honigwabe in eine Dose gepackt und sie versteckt. »Süd-Südwest«, hatte er gesagt, »beachte die rote Markierung!« Und Sally hatte den Honig gefunden, ganz allein, nur mit dem Kompass und einem roten Fähnchen, das über der vergrabenen Dose hing. Wie hatte sie das nur vergessen können! So stolz war sie gewesen. Der Honig hatte besser geschmeckt als alles, was sie bis dahin gekostet hatte.
    »Und das!« Mutter legte ein flaches Päckchen auf die Bettdecke.
    Es waren Vaters Karten, Sally wusste es, noch bevor sie die schwarze Trauerschleife gelöst hatte, die den Packen zusammenhielt. Anders als den Kompass hatte sie die Karten nie wirklich vergessen, sie erinnerte sich noch deutlich, wie sie als kleines Mädchen von den bunten Bildchen und dem Gewebe der Linien fasziniert gewesen war. Vater hatte versprochen, ihr eines Tages beizubringen, wie man seine Karten las, doch dazu war es nicht mehr gekommen. Jetzt musste sie es nachholen. Sie hatte nicht viel Zeit. Und niemanden als eine blinde Lehrerin, die fast nur in Ein-Wort-Sätzen sprach. Das waren nicht gerade die besten Voraussetzungen, aber auch nicht die allerschlechtesten.
    Angelina Hayden war eine versierte Kartenleserin gewesen, als sie noch sehen konnte, und auch später hatte sie sich sehr für die Arbeit ihres Mannes interessiert. Sally beschrieb ihr, was sie auf den Karten erkannte, und Mutter sprach so verständlich, wie sie es vermochte, erklärte, was die Zeichen bedeuteten. Sie brachte Sally bei, wie man Richtungen definierte und Entfernungen berechnete, wie Vater das Tempo der Schweber angegeben und welche Navigationspunkte er vermerkt hatte. Staunend erfasste Sally, die ihr ganzes Leben im Ödland verbracht hatte, zum ersten Mal die geografischen Zusammenhänge. Wie ahnungslos sie doch war, wie ahnungslos sie alle waren, alle Farmer! Weil wir nie hinausgehen, dachte sie, und wenn doch einmal, so vertrauen wir uns blind den Karawanen an.
    Vermutlich wusste niemand, dass die Kuppelfarmen nahezu ringförmig um ein Zentrum angelegt waren, das Vater in komplizierten Formen und Linien wie ein Labyrinth dargestellt hatte, mit einem Kreuz als Mittelpunkt. Bestimmt war dies die sagenhafte Stadt der Alten, besser gesagt, die Ruinen dieser Stadt, die seit Generationen kein Mensch mehr betreten hatte. Eine gewundene, manchmal nur gestrichelte Linie folgte dem Ring von Farm zu Farm und zweigte im Süden nach Esperanza ab. Das war die Karawanenroute, erfuhr Sally. Sie war so verschlungen und unregelmäßig dargestellt, weil sie durch schwieriges Gelände führte und Treibsandlöcher und Sümpfe umgehen, Geröllhalden, Rinnen und Hügel überwinden musste.
    Gut so, dachte Sally. Je schwieriger diese Route zu befahren war, desto länger würden die Lords brauchen, um ihr Ziel zu erreichen. Sie selbst interessierte sich nur für die schnurgeraden, durchgehenden Linien, die von der Hayden-Farm zu jeder anderen Farm des Ödlands führten. Flugrouten für Schweber. Wer fliegt, braucht sich um schwieriges Gelände nicht zu kümmern.
    Vater hatte an alles gedacht, da waren Richtungs-, Zeit- und Tempoangaben, Navigationspunkte wie Felsformationen, Bäume, Wasserläufe. Und das Tollste: Wenn eine Strecke gänzlich einförmig verlief, was im Ödland schon einmal vorkommen konnte, hatte Vater selbst für Navigationspunkte gesorgt. Steinpyramiden hatte er errichtet, ganz ähnlich denen an ihren Tunneleingängen, und ihre Spitzen mit reflektierender Farbe bemalt. Vater war genial! Diese Karten waren sein Lebenswerk, und sie, Sally, würde sie nun endlich der Verwendung zuführen, für die er sie geschaffen hatte. Fast könnte man glauben, er hätte ihr von ganz weit her ein Geschenk gemacht, von dort, wo er jetzt war.
    Mutter kramte wieder in ihrer Andenkenkiste. »Noch etwas«, sagte sie und zog ein rundes, blaues Plastikding heraus.
    »Was ist das?«
    »Ist was drin. War in seinem Stiefel. Innen. Unter innere Sohle geschoben.«
    »Als er … gefunden wurde?«
    Mutter nickte stumm. Sally nahm das kleine Plastikding in die

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