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Deadline 24

Deadline 24

Titel: Deadline 24 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A John
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aussieht.«
    »Aber nur kurz. Er will, dass man lange guckt. Ich glaube, wenn man ihn lange anguckt, wird man wie er. Das will er nämlich. Jemanden, der ist wie er.«
    »Puh«, schauderte Monnia. »Ihr und eure Gespenstergeschichten. Vielleicht seid ihr ja komplett durchgeknallt und das eben war nichts als ein ganz gewöhnlicher Wirbelwind. Oder ein Trugnebel.«
    »Trugnebel und Wind gehen nie zusammen. Außerdem müsste dann Angelina Hayden auch durchgeknallt sein.«
    Darauf erwiderte Monnia nichts. Sally wusste auch, warum. Wenn man unter den Kuppelfarmern eine Umfrage gestartet hätte, wen sie für die am wenigsten durchgeknallte Person im Ödland hielten, hätten neunzig Prozent, ohne zu zögern, Angelina Hayden genannt. Die restlichen zehn hätten ein wenig nachgedacht und dann zugestimmt. Angelina hatte ihr schweres Schicksal gemeistert, war warmherzig, eine wunderbare Köchin, eine versierte Krankenpflegerin und – wie vor allem die männlichen Kuppelfarmer stets gerne betonten – überdies auch noch so vernünftig, keine überflüssigen Worte zu machen. Wenn sie also von der Existenz des Windmannes überzeugt war, dann existierte er, ohne Frage. Und seit Neuestem sah sie, Sally, ihn auch. Warum? Hatte diese Fähigkeit schon immer in ihr geschlummert und war nun erwacht? So etwas gab es, das wusste sie. Manche wurden mit besonderen Gaben geboren, so wie Carlita, in anderen mussten sie erst heranreifen. Auch Angelina war schon erwachsen gewesen, als die ersten Visionen sie überfielen. Aber wenn Carlita recht hatte, wenn der Windmann mit all seiner Kraft einen Gefährten oder eine Gefährtin suchte, warum hatte er dann nicht längst ihre Mutter erwählt? Die beiden kannten sich seit Jahren und Angelina schien keine Angst vor ihm zu empfinden.
    Weil sie nicht sieht, wusste sie plötzlich, Mutter ist blind, sie kann ihn nicht anschauen. Pech gehabt, Windmann. Ausgerechnet die mit der größten Begabung und am wenigsten Furcht vor ihm kann ihn niemals sehen. Was würde geschehen, wenn man ihn lange genug anschaute? Würde man dann wirklich werden wie er? Nie im Leben, dachte sie, nicht mit mir. Sie war ihm wirklich dankbar, dass er ihnen geholfen hatte, aber in ein Gespenst wollte sie sich nicht verwandeln lassen. Und was war mit dem magischen Wort? Was hatte der Windmann damit zu tun? Vielleicht war es eine Art Zauberformel, die ihn herbeirief oder die Orte markierte, die er besuchte, so wie dieses hässliche Gefängnis. Und die Hayden-Farm. Mutter hatte die kleine, durchsichtige Scheibe aufbewahrt, auf der das Wort erschienen war. Besaß das Wort Macht über den Windmann? Sally tastete die Gesäßtasche ihrer Hose ab, das Plastikteil war noch da. Möglicherweise waren die Scheibe und das zerfetzte Tüchlein die Ursachen von allem, auch von Mutters Visionen. Wann hatten sie angefangen, vor oder nach Vaters Tod? Ach, lange vorher, Sally war auf der falschen Fährte. Außerdem hatte Mutter keine Macht über ihre Visionen, das wäre ja auch zu schön gewesen. Nein, die Visionen kamen oder sie kamen nicht, gerade so wie der Wind. Womit sie wieder beim Thema war. Sie drehte sich im Kreis. Rundherum und immer weiter, dachte sie und schlief endlich ein. Im Traum sah sie lauter runde Dinge, ringförmige Routen, runde Kuppeln, Helikopterrotoren, kreiselnde Wirbelwinde, eine kleine, durchsichtige Scheibe, ein flüsterndes Tüchlein, das zwar nicht rund war, aber trotzdem dazu passte, und wie es oft in Träumen geschieht, war sie von einer großen Klarheit erfüllt, wusste genau, dass alles eine Bedeutung hatte und miteinander verbunden war.
    Aber als sie erwachte, war die Bedeutung verschwunden. Carlita schrie wie am Spieß, weil sie glaubte, blind und in der Hölle zu sein. Tiefstes, schwärzestes Schwarz umgab sie alle, die Lampe, die sie hatten brennen lassen, hatte den Geist aufgegeben. Sie tasteten nach den beiden anderen, knipsten sie an und wechselten die Batterie der erloschenen. Carlita beruhigte sich.
    Sally sah auf die Uhr, erst sechs, viel zu früh, um an Aufbruch zu denken. Also frühstückten sie in Ruhe, besser gesagt, sie aßen zu Abend, studierten die Karte, vertraten sich die Beine, warteten. Die Zeit verstrich im Schneckentempo. Sally befasste sich nicht mehr mit den Kritzeleien an der Wand, sie wusste ohnehin, dass das magische Wort noch immer dort stand. Aber sie wollte es nicht mehr ansehen, es hätte sie vielleicht verwirrt und Verwirrung durfte sie sich nicht leisten. Sie musste bei absolut

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