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Deadline 24

Deadline 24

Titel: Deadline 24 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A John
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ich fühle ihn nicht mehr! Spürst du ihn noch?« Hilfe suchend schaute sie auf Carlita, die nur ratlos die Schultern hochzog.
    »Von wem redet ihr?«, fragte Caleb gereizt. »Etwa von diesem Windmann-Gespenst? Verflucht noch mal, Sally!«, schimpfte er. »Ich hätte dich für vernünftiger gehalten! Geisterbeschwörung, ich fass es nicht!«
    Er tigerte in dem schmalen Zimmerrest hin und her, fluchte, schimpfte auf die Untätigkeit, zu der er verurteilt war, auf Sallys Aberglauben, der zu nichts führte, versetzte Carlitas Lampe einen zornigen Tritt, sodass sie gegen die Mauerkante prallte, und stapfte endlich durch den brüchigen Türbogen in das angrenzende Zimmer. Sally starrte ihm entgeistert hinterher. Womit hatte sie diese Wut verdient? Der Felsbrocken auf ihrer Brust schien um ein paar Pfund schwerer zu werden.
    »Geh ihm nach«, raunte Monnia. »Männer rasten schnell aus, wenn sie sich hilflos fühlen. Geh ihm nach!«, wiederholte sie und schubste sie mit dem Ellenbogen an. Sally folgte Caleb. Er war nicht weit gekommen, das angrenzende Zimmer war nichts als ein schmaler Bodenrest, der am Abgrund endete. Dort stand Caleb, Hände in den Hosentaschen, Schultern hochgezogen, Kopf gesenkt, als schätze er die Höhe und überlege, ob er springen solle. Obwohl sie sich sicher war, dass er so etwas nicht tun würde – er gehörte nicht zu den Leuten, die ihre Freunde einfach im Stich ließen –, setzte Sallys Herz einen Augenblick lang aus. Sie musste tief durchatmen, bevor sie sich neben ihn stellen konnte. Eine Weile verharrten sie wortlos nebeneinander und starrten in die windige Tiefe.
    »Was machen wir eigentlich hier?«, fragte Caleb endlich.
    »Keine Ahnung, sag du es mir!«
    Er schwieg, trat aber ein paar Schritte zurück. Erleichtert folgte ihm Sally, es wehte furchtbar, so direkt am Abgrund.
    »Tut mir leid«, brummelte er verlegen. »Dass ich ausgerastet bin, meine ich. Das war nur, weil ich mich so …«
    »Ich weiß«, unterbrach ihn Sally.
    »Nein«, widersprach er, »das kannst du nicht wissen. Es ist eine Frage der Ehre. Wir sind Seeleute, ich bin der Captain, ich trage die Verantwortung. Der Captain geht als Letzter von Bord, erst wenn die anderen alle in Sicherheit sind. Aber ich hab mich davongemacht, ohne meine Leute.«
    »Das hast du nicht«, entgegnete Sally bestimmt. »Du bist doch immer noch hier. Wir werden sie raushauen!«
    »Mithilfe deines Gespenstes vielleicht?« Doch er lächelte, um ihr zu bedeuten, dass er nicht länger wütend war, und griff spielerisch nach einer ihrer langen Haarsträhnen.
    In diesem Moment erzitterte das Gebäude. Calebs Hand fiel herab, sein Lächeln wich der Miene höchster Verblüffung, mit geweiteten Augen starrte er auf etwas hinter Sally. Sie fuhr herum.
    Im Inneren des hohlen Turms drehte sich rasend, doch völlig lautlos, ein Wirbelwind, ein riesiger, bleicher Tornado. Er war gekommen, endlich!
    Sally rannte los, zurück zu Monnia und Carlita. Die Kleine stand mit gespreizten Beinen da, leicht vorgebeugt, hatte den Rücken dem Fenster zugedreht, die Arme in die Seiten gestemmt und starrte in den Wirbel. Er war riesig, füllte die ganze Ruine vom Erdboden bis zur höchsten Spitze, doch er ragte nicht darüber hinaus. Die Frontmauer verbarg dieses unglaubliche Ereignis vor den Augen der Lords, und was jetzt kam, sahen ohnehin nur sehr wenige Menschen. Der Wirbel zerfiel, zerfaserte, fügte sich wieder zusammen und eine Gestalt bildete sich. Es war ein Mann, ein bleicher Mann aus Wind und Staub.
    Carlita tastete nach Sallys Hand. »Er ist da«, flüsterte sie.
    »Schaut her!«, sang der Windmann.
    Sally und Carlita schauten ihn an. Rauchsäulendünn war er, er trug Kleider aus Wind, hatte Haare aus Wind, Gesicht, Augen, Nase, Mund aus Wind. Ein bartloses, ein junges Gesicht, obwohl er älter war als alles, was lebte.
    »Schaut her!«, sang er, während er schwankend niederging und die beiden Mädchen umhüllte. Wieder, wie gestern beim Trugnebel, hatte Sally das Gefühl, eine fremde Macht durchdringe ihren Verstand, ihre Seele. Doch diesmal sah sie keine Bilder, sie sah überhaupt nichts, fühlte nur unendlichen Schmerz, fremden Schmerz, Einsamkeit, Trauer, Zorn. Sie presste Carlitas Hand, hörte die Kleine stöhnen, spürte sie zittern und wusste, dass sie dem Gleichen ausgesetzt war wie sie.
    Er trifft seine Wahl, schoss es ihr durch den Kopf. Nimm mich, wollte sie rufen, Carlita ist zu klein! Doch schon entglitt ihr Carlitas Hand, die Kleine taumelte

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