Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
Todesängste ausstehen um den Verbleib und das Ergehen ihres geliebten Jungen.
Der Raub des Kleinen war eine waghalsige Tat gewesen, aber Elyse war zufrieden mit ihrer Entscheidung. Dadurch wurden die Dinge komplizierter, aber das genussvolle Wissen, dass Cissy sich zu Tode ängstigte, keinen Schlaf fand und unter Schuldgefühlen litt, war die Sache durchaus wert.
Sie fuhr durch San Mateo und dann auf die Brücke. Immer wieder sah sie in den Rückspiegel, doch anscheinend folgte ihr nach wie vor niemand. All die Pendler fuhren wie Roboter, einige hatten ihr Handy am Ohr, die meisten lauschten ihrem Lieblingssender im Radio, und alle hatten es eilig, nach Hause zu kommen.
Sie hätte unsichtbar sein können, so wenig Notiz nahm man von ihr.
Elyse hatte keine Eile. Sie fuhr umsichtig und folgte am östlichen Ende der Brücke der Straße in nördliche Richtung.
Auf dem Weg nach Oakland hatte sie etwa fünf Meilen zurückgelegt, als sie das Kreischen einer Sirene hörte.
Ihr Herz machte einen Satz.
Nein! Es konnte doch nicht sein, dass sie entdeckt worden war.
Sie schaute in den Rückspiegel. Mit rotierendem Lichtsignal raste ein Streifenwagen über den Freeway. Hinter ihr fuhren die Wagen rechts an den Straßenrand, und Elyse betete, dass einer von ihnen das Tempolimit überschritten hatte und damit die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gezogen hatte. Sie dachte an ihre ausgetauschten Kennzeichen. War man ihr auf die Schliche gekommen? Sie besaß eine Waffe. In ihrer Handtasche. Wenn es sein musste, würde sie sie benutzen.
Der Streifenwagen näherte sich mit gellender Sirene und wild blitzendem blauen und weißen Licht. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls an den Straßenrand zu fahren und zu beten, dass die Polizisten vorbeifuhren. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, lenkte sie auf die Fahrspur rechts außen.
Der Streifenwagen folgte ihr.
O Scheiße!
Was sollte sie tun? Den Polizisten erschießen? Das Risiko eingehen, dass jemand Zeuge wurde, wie sie einen Polizisten erschoss? Jeder verdammte Autofahrer besaß ein Fotohandy. Sie drosselte das Tempo und fuhr noch weiter nach rechts.
Mit ohrenbetäubendem Sirenengeheul rauschte der Streifenwagen an ihr vorbei.
Elyse fiel beinahe in Ohnmacht.
Ihre verkrampften Muskeln entspannten sich.
»Laut!«, sagte der Junge unbeschwert.
»O ja.« Elyse atmete ein paar Mal tief durch, beschleunigte dann vorsichtig und scherte wieder in den fließenden Verkehr ein. Ihr Herz klopfte noch immer wild, ihre Kopfschmerzen meldeten sich mit aller Macht zurück.
Sie achtete darauf, stets das Tempolimit einzuhalten. Innerlich zitternd fuhr sie noch vorsichtiger in Richtung Norden weiter, bis sie endlich in der kleinen Straße hinter dem Bungalow angelangt war, wo sich Marla versteckt hielt.
Das wird gut, dachte sie und hob das Kind mitsamt einer Wolldecke aus dem Wagen.
»Runter!«, verlangte der Junge, als sie ihn zur Hintertür trug. »Lass mich runter.«
»Noch nicht.«
»Runter!«
»Gleich.« Elyse trug ihn auf die hintere Veranda, und als sie in ihrer Tasche nach dem Schlüssel kramte, hörte sie ein Fauchen. Schon wieder diese verfluchte Katze.
»Kätzchen!« Jetzt wurde der Junge zu einem zappelnden Derwisch. Den Blick auf die Katze gerichtet, die fauchend in den Schatten untertauchte, wehrte er sich mit aller Macht gegen Elyses Umklammerung.
»Kätzchen!«
»Ja, genau«, sagte Elyse und schob den Schlüssel ins Schloss. »Das war eine Katze.«
»Will das Kätzchen!«
»Nein. Das ist ein ganz gemeines Vieh«, sagte Elyse, doch dann wurde ihr bewusst, dass sie zu viel Lärm machte. Diese neugierige Nachbarin auf der anderen Straßenseite spähte mal wieder durch ihre Jalousien, und selbst wenn sie nichts entdecken konnte, musste Elyse Vorsicht walten lassen.
Sie schlüpfte ins Haus, und der Kleine sagte: »Puh! Stinkt!«
»Weiß Gott«, stimmte sie ihm zu und nahm sich vor, Lufterfrischer zu besorgen. Wenn Marla endlich mal ihren knochigen Hintern hochkriegen und sauber machen würde, wäre sie ja froh, aber das würde niemals geschehen. Nun, heute Abend stand ihr eine tolle Überraschung bevor. »Pssst«, machte Elyse und kämpfte gegen den verdammten Kopfschmerz, als sie die Treppe in den alten muffigen Keller hinunterstieg.
Himmel Herrgott, wie hielt Marla es bloß hier aus?
Ihre Schritte auf den Bodendielen schienen widerzuhallen, als sie an der verrosteten Waschmaschine vorbei zu dem Bücherregal schlüpfte, wo sie das verborgene Schloss
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