Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
Akte einsehen.«
»Sie wissen, dass das gegen die Rechte der Patienten verstößt.«
»Ich besorge mir eine richterliche Anordnung.«
Anne nickte. »Dann gebe ich Ihnen alles. So gern ich Ihnen helfen möchte, Detective Paterno, ich muss mich hier an die Regeln halten. Es ist eine Vertrauensfrage.«
Er hatte nichts anderes erwartet. »Wir müssen die nächsten Angehörigen verständigen.«
»Das könnte schwierig werden«, gestand sie. »Marla Cahill ist als seine nächste Angehörige eingetragen.«
Ich hab’s geschafft!
Als sie in Richtung Stadt fuhr, konnte Elyse ihr Glück noch nicht fassen. Sie sah die anderen Autofahrer an; sämtlich gefangen in ihrer eigenen privaten Welt, in ihren eigenen kleinen Problemen wussten sie nicht, dass sie neben ihnen fuhr – oder dass die altmodisch gekleidete Frau in dem unauffälligen Auto eine Mörderin war, ein Genie, beinahe unfehlbar.
Elyse war so überzeugt davon, dass sie sich keine Sorgen machen müsste, dass sie auf den Austausch der Kennzeichen schließlich doch verzichtet hatte. Denn wenn sie Pech hätte, würde irgendein Mistkerl gerade herumlungern, sie beobachten und sich fragen, was sie da trieb. So ein Typ, der solch eine Beobachtung gleich meldete und ihr die Polizei auf den Hals hetzte. Nein, dieses Mal war es sicherer, den Status quo beizubehalten.
Aber, o Gott, was für ein High!
Sie riss sich die juckende Perücke vom Kopf, kurbelte die Fenster herunter und inhalierte die frische salzige, mit Abgasen gemischte Luft, während sie den Freeway entlangbrauste.
Ein Teil von ihr, ein starrsinniger, egoistischer Teil, erwog, zu Marla zu fahren und vor ihr mit ihrer Heldentat zu prahlen, doch Elyse entschloss sich zu warten. Marla war eine solche Spaßbremse – und Elyse wollte feiern. Sie war um die südliche Bucht herumgefahren und hielt jetzt auf dem Parkplatz eines Minimarkts, wo sie sich rasch umzog, die Körperpolster ablegte und das Füllmaterial hinter ihren Wangen ausspuckte. Nachdem sie sich den Perückenkleber abgewischt hatte, legte sie auch den Rest ihrer verhassten Mary-Smith-Verkleidung ab.
Jetzt war sie wieder Elyse, ihr Alter Ego. Sie gab Gas und vergewisserte sich, dass niemand ihr die letzten paar Meilen bis zu ihrem Haus in der Stadt folgte, wo sie in die Garage fuhr. Erleichtert dachte sie über ihre nächsten Schritte nach. Sie plante, die Teile ihrer Körperpolsterung über die ganze Stadt verteilt in Müllcontainern zu deponieren. Perücke und Brille wollte sie in einen Beutel stecken und ihn in den Abfallcontainer hinter einem Restaurant in Oakland stopfen. Kleid und Schuhe würde sie anonym bei der Kleidersammlung in San José abgeben. Irgendwann würde es dann überhaupt keine Verbindung mehr zwischen ihr und der ruchlosen, mörderischen Mrs. Smith geben. Vorsichtshalber würde sie sogar ihre unechten Ringe in die Bucht werfen!
Adios, Mary!
Elyse lächelte in sich hinein und eilte hinauf ins Bad, um die Rückstände ihrer Verkleidung abzuwaschen. Sie stieg unter die Dusche und spürte, wie die heißen Wasserstrahlen die Muskelverspannungen lösten und die dicke Schminke von ihrem Gesicht spülten. Sie war froh, dass sie nie wieder in die Residenz für betreutes Wohnen Harborside gehen musste. Das Heim war so deprimierend. Wie hatte der Schwachsinnige das nur ausgehalten?
Außerdem hatte sie noch andere auf ihrer Liste, die ein ähnliches Schicksal ereilen sollte wie Rory, andere, die sie noch viel lieber leiden sehen wollte. Vor allem Cissy, diese elende, verwöhnte Göre. Was für eine Niete! Elyse konnte es kaum erwarten, der Zicke gegenüberzustehen und ihr begreiflich zu machen, wie dumm und unnütz sie war.
Doch an diesem Abend wollte sie feiern, deshalb würde sie die Bucht nicht überqueren. Marlas Anblick würde ihr nur die Laune verderben. An diesem Abend wollte sie ein bisschen Spaß haben, und sie würde Marla nichts davon erzählen, niemals. Elyse würde sich mit dem Mann treffen, den sie heiraten wollte, und den Rest der Nacht mit ihm verbringen. Heißer Sex nach einem eiskalten Mord. Uuuh, das klang gut.
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als sie an den bevorstehenden Abend dachte und bereits ins Phantasieren geriet. Sollte sie ihm verraten, was sie getan hatte? Oder noch warten?
Sie hielt es für das Beste, ihr Geheimnis noch für sich zu behalten. Womöglich verstand er sie nicht, und sie wollte nicht das Risiko eingehen, ihn zu verlieren. Doch es würde ihr schwerfallen, nicht mit ihrer Tat
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