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Deadlock

Deadlock

Titel: Deadlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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und der zweite Mann waren völlig in Anspruch genommen durch die Überprüfung eines Rohrventils. Sie sahen mich überhaupt nicht, sondern arbeiteten einfach weiter. Erst als die Inspektion zu ihrer Zufriedenheit beendet war, nahmen sie meine Anwesenheit zur Kenntnis. Sheridan legte seine Hände trichterförmig um mein Ohr und brüllte mir eine Frage zu. Ich brüllte zurück. Es war ganz offensichtlich, dass sich kein Mensch bei diesem Getöse unterhalten konnte. Ich schrie, dass ich ihn beim Abendessen gern gesprochen hätte. Obwohl ich nicht genau wusste, ob er mich verstanden hatte, machte ich kehrt und kletterte wieder nach oben.
    In vollen Zügen genoss ich die Nachmittagsluft. Inzwischen war es recht kalt geworden. Mir fiel meine Reisetasche ein, die noch auf der Taurolle lag. Ich holte sie mir, zog mir den dicken Pullover über und setzte die Baskenmütze auf. Der Maschinenlärm war nur noch gedämpft zu hören. Der Wind hatte aufgefrischt, die See war unruhiger, und das Heck hob sich immer wieder aus dem Wasser. Die »Lucella« schwankte ganz schön. Auf der Suche nach einem stillen Plätzchen schlenderte ich nach vorne zum Bug. Kein Mensch war zu sehen. Als ich den Vorsteven erreichte, die äußerste vordere Spitze des Schiffs, war kein Laut mehr zu vernehmen - nur das Geräusch der Wellen, die sich am Bug brachen. In der untergehenden Sonne warf das Ruderhaus einen langen Schatten aufs Deck.
    Am Vordeck gab es keine Reling. Zwei dicke Taue zwischen Pfosten gespannt, die am Rande des Decks in den Boden eingelassen waren, bildeten die einzige Sicherung. Aber dazwischen konnte man leicht ins Wasser rutschen.
    Ich setzte mich auf eine Bank, die auf den Planken festgeschraubt war, und sah aufs Wasser, das unentwegt die Farbe wechselte. Es war ein herrliches Schauspiel.
    Plötzlich fiel ein Schatten auf das Deck. Ich richtete mich auf und griff nach der Smith & Wesson. Bledsoe trat neben mich.
    »Ich könnte Sie leicht über Bord stoßen und behaupten, Sie wären gefallen.« »Ist das eine Drohung oder eine Feststellung?« Ich zog den Revolver hervor und entsicherte ihn.
    Er wirkte verblüfft. »Stecken Sie das verdammte Ding weg. Ich möchte mit Ihnen reden.«
    Ich sicherte die Waffe und verstaute sie wieder im Halfter. Auf kurze Entfernung würde sie mir ohnedies nichts nützen; ich hatte sie hauptsächlich mitgebracht, um Eindruck zu schinden.
    Bledsoe trug ein dickes Tweedsakko über einem hellblauen Kaschmirpullover. Er sah aus wie ein Seemann, der sich in seiner Haut wohl fühlt. Ich spürte die Kälte in meiner linken Schulter. Sie begann wieder zu schmerzen.
    »Ich fahre zu schnell aus der Haut«, sagte er plötzlich. »Trotzdem brauchen Sie keine Waffe, um mich in Schach zu halten, zum Kuckuck!«
    »Prima.« Ich blieb sprungbereit.
    »Machen Sie doch nicht alles so verdammt kompliziert«, fuhr er mich an. Ich rührte mich nicht. Im Geiste erwog er offenbar zwei Möglichkeiten: entweder beleidigt davonzustapfen oder die Katze aus dem Sack zu lassen. Er entschied sich für die zweite.
    »Hat Ihnen Grafalk von meinen jugendlichen Verirrungen erzählt?« »Ja.« Er nickte. »Ich glaube nämlich nicht, dass es sonst noch jemand gibt, der davon weiß - oder dem es noch etwas ausmacht. Ich war damals achtzehn. Ich war in den Slums des Hafenviertels aufgewachsen. Nachdem er mich in sein Büro in Cleveland gelotst hatte, musste ich mit der Zeit immer mehr Geschäfte abwickeln, bei denen ich Bargeld in die Hand bekam. Er war selber schuld -niemals hätte er einen jungen Burschen solche Geschäfte machen lassen dürfen. Ich hab's ja nicht gestohlen. Das heißt, natürlich hab' ich's gestohlen. Ich will nur sagen, dass ich nie die Absicht hatte, mit meiner Beute irgendwohin abzuhauen. Mir schwebte einfach ein Leben im großen Stil vor. Ich hab' mir ein Auto gekauft.« Er lächelte in der Erinnerung. »Einen roten Packard Sportzweisitzer. Gleich nach dem Krieg, als noch schlecht an Autos heranzukommen war. In meinen Augen war meins der flotteste Schlitten im ganzen Hafenviertel.« Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand. »Na, jedenfalls war ich jung und dumm. Ich gab das Geld ganz offen aus und wartete buchstäblich darauf, dass ich erwischt wurde. Niels hat mir damals beigestanden und mich sofort nach meiner Entlassung aus Cantonville wieder eingestellt. Zwanzig Jahre lang hat er geschwiegen. Aber als ich neunzehnhundert-vierundsiebzig die Pole-Star-Linie gründete, hat er das persönlich genommen. Und von da an

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