Deadlock
köchelte munter vor sich hin; ich nahm einen Teller voll mit ins Schlafzimmer und aß, während ich mich anzog: eine schwarze Samthose, eine hochgeschlossene Bluse und ein auf Figur gearbeitetes Bolerojäckchen aus schwarzem und rotem Samt. Mit hochhackigen Pumps und baumelnden Ohrringen war ich komplett kostümiert für einen Theaterabend -oder vielmehr den Abend nach der Vorstellung. Wie durch ein Wunder hatte ich mir die weiße Bluse nicht mit Tomatensauce bekleckert. Das Glück war mir zweifellos hold. Punkt halb elf stand ich vor dem Windy City Ballet; die Vorstellung sei in zehn Minuten zu Ende, erklärte mir gelangweilt eine junge Frau. Sie drückte mir ein Programm in die Hand und ließ mich ein, ohne Eintritt zu verlangen. Der winzige Zuschauerraum war voll. Ich lehnte mich neben den Platzanweiserinnen an die Wand und zog die Schuhe aus. Auf der Bühne wurde eben ein temperamentvoller Pas de deux aus einem klassischen Ballett getanzt; Paige tanzte nicht den weiblichen Part. Die Tänzerin beherrschte ihre Rolle zwar technisch perfekt, aber ihr fehlte das gewisse Etwas, das Paige besaß. Bald erschien das gesamte Ensemble zu einem aufwendigen Finale, und dann war die Aufführung zu Ende.
Als die Lichter angingen, stellte ich erst einmal fest, ob Paige heute Abend überhaupt aufgetreten war. Ja, richtig: »Pava-ne für einen Dealer« war aufgeführt worden, unmittelbar vor dem zweiten Akt von »Giselle«, dessen Schluss wir gerade gesehen hatten.
Ich folgte einer Gruppe zum Garderobeneingang, setzte mich auf einen Klappstuhl und wartete auf Paige; ich wollte sie nicht in ihrer Garderobe überfallen. Die Tänzer kamen zu zweien und dreien an mir vorbei, beachteten mich aber überhaupt nicht. Eingedenk der Wartezeit, die ich schon einmal vor dieser Tür verbracht hatte, hatte ich einen Roman eingesteckt ... Fünfzig Minuten vergingen. Als ich gerade zu dem Schluss gekommen war, dass sie das Theater bereits nach der »Pava-ne« verlassen haben musste, tauchte sie endlich auf. Sie war sehr teuer angezogen, und wieder gab mir das zu denken. Heute trug sie einen silbrigen Pelz, vermutlich Fuchs, in dem sie aussah wie Geraldine Chaplin in »Dr. Schiwago«.
»Hallo, Paige. Leider habe ich die >Pavane< verpasst. Vielleicht schaffe ich es morgen zur Matinee.«
Sie war leicht zusammengezuckt, lächelte dann, doch schien sie auf der Hut zu sein. »Hallo, Vic. Welche impertinenten Fragen haben Sie diesmal auf Lager? Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange - ich bin nämlich zum Abendessen verabredet und schon spät dran.«
»Wollen Sie Ihren Kummer ertränken?«
Sie sah mich indigniert an. »Das Leben geht weiter, Vic.«
»Stimmt, Paige. Tut mir Leid, dass ich Sie trotzdem in die Vergangenheit zurückführen muss. Aber ich bin brennend an der Frage interessiert, mit wem Sie damals auf der Party von Guy Odinflute gewesen sind.«
»Mit wem ich wo gewesen bin?«
»Erinnern Sie sich nicht mehr an die Party, auf der Sie Champ kennen gelernt haben? Niels Grafalk wollte sich einige Hockeyspieler vorstellen lassen, weil er mit dem Gedanken spielte, bei den Black Hawks einzusteigen, und darum wurde für ihn die Party arrangiert. Oder haben Sie das, wie so manches, aus Ihrem Gedächtnis gestrichen?«
Ihre Augen sprühten plötzlich Feuer, und ihr Gesicht wurde dunkelrot. Ohne ein Wort der Erwiderung hob sie die Hand, um mir ins Gesicht zu schlagen. Ich hielt sie am Handgelenk fest und drückte ihren Arm sacht nach unten. »Nicht doch, Paige. Ich habe nämlich auf der Straße gelernt, mich meiner Haut zu wehren. Machen Sie mich nicht wütend, sonst könnte es für Sie sehr unangenehm werden ... Wer hat Sie zu dieser Party begleitet?«
»Das geht Sie einen Dreck an! Hätten Sie die Freundlichkeit, das Theater zu verlassen, oder muss ich erst einen Wachmann rufen? Und kommen Sie bitte nie mehr hierher: Ich könnte nicht tanzen, wenn ich wüsste, dass Sie mir dabei zusehen.«
Empört, aber anmutig tänzelnd durchquerte sie die Halle und verschwand durch die Tür. Ich folgte ihr und sah gerade noch, wie sie in eine große dunkle Limousine stieg. Der Mann am Steuer war in der schwachen Beleuchtung nicht zu erkennen.
Ich wollte allein sein; sogar Lottys Herzlichkeit würde mir jetzt auf die Nerven fallen. Von meiner Wohnung aus rief ich sie an und bat sie, sich keine Sorgen zu machen. Das war zwar ohnehin nicht ihre Art, aber die Zerstörung der »Lucella« hatte ihr doch sehr zugesetzt.
Am Morgen holte ich mir die
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