Deadlock
gespenstische Ruhe. Die Schiffe lagen da wie schlafende Riesen. Ich parkte den Omega vor dem Büro der Eudora und schlich auf Zehenspitzen zum Lieferanteneingang.
Ich drückte in Abständen auf den Klingelknopf und ließ fünf Minuten verstreichen. Niemand kam. Falls es einen Nachtwächter gab, hatte er seinen Dienst noch nicht angetreten. Aus meiner Gesäßtasche zog ich ein Sortiment der gängigsten Dietriche - die Grundausstattung eines Einbrechers, der Privathäuser knacken will - und probierte sie der Reihe nach durch. Zehn Minuten später betrat ich Phillips' Büro. Entweder er selbst oder die tüchtige Lois hielten sämtliche Aktenschränke verschlossen. Seufzend machte ich mich mit den Dietrichen von neuem an die Arbeit. In Lois' Vorzimmer standen nochmals drei Schränke! Ich rief Lotty an und sagte ihr, dass ich nicht zum Abendessen käme; dann begann ich mit der Suche. Phillips bewahrte die merkwürdigsten Gegenstände in der obersten Schreibtischschublade auf: drei verschiedene Sorten Tabletten gegen Übersäuerung des Magens, die Terminkalender der letzten sechs Jahre, fast ohne Eintragungen, Nasentropfen, ein Paar alte Überschuhe, zwei kaputte Taschenrechner - und diverse Notizzettel, die ich glatt strich und sorgfältig las. Meist handelte es sich um telefonische Mitteilungen, einige von Grafalk, eine von Argus. Die übrigen Namen sagten mir im Augenblick nichts, aber ich notierte sie für alle Fälle.
Mit Feuereifer stürzte ich mich auf die Akten, die in einem Nussbaumschrank auf der Fensterseite untergebracht waren. Als Erstes fiel mir ein Ordner mit monatlichen Computerausdrucken in die Hand, auf denen die Gesamtumsätze bis zum jeweiligen Erstellungsdatum inklusive Vergleichsziffern der Vorjahre ausgeworfen waren. Dann fand ich Blatt A 36000059-G - Zahlungen an Subunternehmer. Nun brauchte ich nur noch festzustellen, ob die Daten der Vertragskopien, die ich mir aufgeschrieben hatte, damit übereinstimmten.
Jedenfalls stellte ich mir das so vor. Aus Lois' Aktenschrank beschaffte ich mir die Originale, bemerkte aber erst beim Vergleich mit Blatt A 36000059-G, dass die Unterlagen nach Rechnungsnummern abgelegt waren, nicht nach dem Datum des Vertragsabschlusses. Meine ursprüngliche Idee, die Gesamtsumme der Einzelverträge einfach mit der Gesamtsumme im Hauptbuch zu vergleichen, erwies sich als falsch; als ich beispielsweise die Unterlagen der Pole-Star-Linie heranzog, gehörten die Rechnungen offensichtlich zu mehreren Aufträgen. Die Gesamtsumme der Rechnungen war nämlich so viel höher als die Summe der einzelnen Umsätze und die Anzahl sämtlicher bezahlter Rechnungen so viel geringer, dass es für mich nur diese eine logische Erklärung gab. Ich addierte und subtrahierte und verglich die Zahlen auf jede denkbare Art. Schließlich musste ich mir eingestehen, dass ich ohne Einzelrechnungen zu keinem Ergebnis kommen würde. Aber gerade die waren nicht aufzufinden. Keine Einzige. Systematisch überprüfte ich die restlichen Ordner in Phillips' Büro, ging alle Unterlagen im Vorzimmer einschließlich der unverschlossenen Büroschränke durch. In beiden Büros gab es keine einzige Rechnung! Bevor ich es für diesmal dabei bewenden ließ, warf ich noch einen Blick in die Gehaltsunterlagen. Phillips' Gehalt belief sich genau auf den von Janet genannten Betrag. Hätte ich gewusst, dass ich hier einbrechen würde, hätte ich ihr die Entlassung ersparen können. Ich überlegte. Falls er zusätzlich von der Eudora Geld bekam, dann bestimmt nicht über sein Gehaltskonto, zumal die Buchungen über Computer in Eudora, Kansas, vorgenommen wurden. Wenn er Konten manipulierte, musste er es raffinierter anstellen.
Achselzuckend sah ich auf die Uhr. Es war schon nach neun. Ich war todmüde und hungrig. Meine Schulter tat weh. Ich hatte mir heute ein gutes Abendessen redlich verdient -und ein ausgedehntes Bad und eine ruhige Nacht; aber ich hatte noch etwas ganz Bestimmtes vor ...
Zu Hause setzte ich tiefgefrorene Pasta mit Tomaten und Basilikum auf, stieg in die Badewanne und wählte von hier aus Phillips' Privatnummer. Er war nicht da, aber sein Sohn fragte höflich, ob er etwas ausrichten könne. »Hier spricht V.I. Warshawski«, sagte ich kurz entschlossen und buchstabierte meinen Namen. »Richten Sie ihm aus, dass Mister Argus' Steuerberater einige Rechnungen vermisst.« Zögernd wiederholte der junge Mann die Nachricht. Ich hinterließ sowohl meine als auch Lottys Telefonnummer und legte auf. Die Pasta
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