Deadlock
liefen zum Parkplatz zurück. Ich fuhr Bledsoe wieder zum Stahlwerk, wo es jetzt von Polizisten aus Indiana und Chicago wimmelte. Außerdem begann gerade die Vier-Uhr-Schicht. Ich setzte Bledsoe am Eingangstor ab. Unter Umständen wurde ich später von der Polizei als Zeugin gebraucht - aber sie sollten ruhig nach mir suchen. Ich hatte ganz andere Sorgen.
21
Fischzug
Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als eine Privatdetektivin in Blue Jeans durch die Tür zum Vorstand einer bedeutenden amerikanischen Gesellschaft. Wegen des dichten Verkehrs auf dem Weg in die Stadt erreichte ich die Hauptniederlassung der Ajax-Versicherung im südlichen Stadtzentrum erst kurz nach fünf. Ich stellte mir vor, dass es spät genug sei, um die Kolonnen von Sekretärinnen zu umgehen, die den Pfad zum Büro eines Managers blockieren, doch ich hatte nicht mit dem Sicherheitssystem der Ajax gerechnet. Die Pförtner in der marmorverkleideten Eingangshalle des sechzigstöckigen Wolkenkratzers verlangten einen Firmenausweis von mir. Den hatte ich natürlich nicht. Dann musste ich angeben, zu wem ich wollte; falls der entsprechende Firmenangehörige meinen Besuch wünsche, bekäme ich einen Besucherausweis. Sie waren entsetzt, als ich den Namen Gordon Firth nannte. Da ich auf der Besucherliste für den Vorstand nicht verzeichnet war, hielten sie mich anscheinend für eine gedungene Mörderin, die im Auftrag einer anderen Versicherung die Konkurrenz aus dem Wege räumen sollte. »Ich bin Privatdetektivin«, erklärte ich und zog zum Beweis die Fotokopie meiner Zulassung aus der Brieftasche. »Ich bearbeite einen Fall mit fünfzig Millionen Dollar Sachschaden, den die Ajax letzte Woche anerkannt hat. Natürlich habe ich keinen Termin bei Gordon Firth, aber ich muss unbedingt mit ihm oder dem zuständigen Sachbearbeiter sprechen. Es dreht sich um die Zahlungsverpflichtung.«
Wir debattierten hin und her, und schließlich drohte ich ihnen, mir ihre Namen zu merken und dafür zu sorgen, dass sie den Schaden an der »Lucella« aus ihrer eigenen Tasche bezahlen müssten, wenn die Ajax nur deswegen zur Leistung herangezogen würde, weil sie mir den Zutritt zum Vorstandsbüro verwehrt hatten.
Diese Argumente brachten mich noch nicht zu Firth - denn, wie gesagt, eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr -, aber immerhin zu einem Mann in der Abteilung »Besondere Risiken«, der den Fall bearbeitete. Sein Name war Jack Hogarth. Mit forschem Schritt, die Hemdsärmel hochgekrempelt und die Krawatte lose herabbaumelnd, kam er zur Pförtnerloge. Er war schätzungsweise fünfunddreißig bis vierzig, dunkelhaarig und schlank und hatte lustige schwarzbraune Augen.
» V.I. Warshawski?«, meinte er fragend, während er meine Visitenkarte studierte. »Kommen Sie mit rauf. Wenn Sie etwas über die >Lucella< mitzuteilen haben, sind Sie willkommener als eine Hitzewelle im Januar.« Er führte mich zum Fahrstuhl. Rasch erreichten wir den dreiundfünfzigsten Stock. Kaum hatte sich die Aufzugtür geöffnet, stürzte Hogarth schon den Gang hinunter, durch doppelte Glastüren in eine Zimmerflucht in der südöstlichen Ecke des Gebäudes, in der Nussbaumholz und die Farbe Rot dominierten. Sein riesiger Schreibtisch war mit Papieren bedeckt. Auf einem Seitentisch lag eine Fotografie, die die zerstörte »Lucella« in der Poe-Schleuse zeigte, und ein Bildausschnitt von der Bordwand des Frachters war mit Klebstreifen an einer der holzgetäfelten Wände befestigt.
Ich betrachtete das auf etwa sechzig mal neunzig Zentimeter vergrößerte Foto; bei der bloßen Erinnerung an das Ereignis überlief mich ein Schauder. In der Zwischenzeit waren offensichtlich weitere Lukendeckel aufgesprungen, und auf den Trümmern des Decks lag eine dicke Schicht Gerstebrei.
Ein sehr großer Mann, den ich bisher gar nicht bemerkt hatte, erhob sich aus einer Zimmerecke und kam gemächlich zu mir herüber. »Beängstigend, nicht?«, meinte er mit unüberhörbar englischem Akzent.
»Ja. Aber in Wirklichkeit war es noch viel schlimmer.«
»Oh, Sie waren dabei?«
»Ja«, erwiderte ich knapp. »Mein Name ist V.I. Warshawski, ich bin Privatdetektivin. Und Sie?«
Es war Roger Ferrant, Vertreter der Londoner Firma Scupperfield & Plouder, Hauptträger der Schiffs- und Frachtversicherung der »Lucella«. »Roger weiß wahrscheinlich weltweit am besten über die Schifffahrt auf den Großen Seen Bescheid, obwohl er in London arbeitet«, erklärte mir Hogarth. Und zu Ferrant gewandt, fügte er hinzu:
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