Deadwood - Dexter, P: Deadwood
und lauschte. Schnarchen, weit entfernt.
Er meinte, in der Dunkelheit das Gesicht des Farmers zu sehen. Und dann Handsome Dicks Gesicht, schmerzerfüllt und verschwitzt, und dann hörte Charley, was Handsome Dick sagte. »Wird es nachwachsen?« Nach allem, was er gesehen hatte, war das überhaupt nicht witzig.
Charley drehte den Türknauf und dachte an die Last, die er von nun an mit sich herumtragen musste. Er hatte nie auf einen Menschen schießen wollen, und wenn man einen Mann zum Krüppel machte, tat man ihm damit auch keinen Gefallen.
Und während er in Gedanken immer noch bei Amputationen war, drückte er die Tür auf und sah ein menschliches Bein auf dem Boden.
Er machte einen Schritt vorwärts und merkte, als er seine Mokassins hob, dass der Boden klebte. Er bewegte sich vorsichtiger jetzt, er spürte zwar niemanden sonst im Raum, war sich seiner Sache aber nicht sicher. Er trat ein, machte einen Schritt zur Seite und drückte sich dann flach an die Wand. Nichts rührte sich.
Er wartete eine Minute, dann sah er wieder zu Boden. Das Bein lag auf der Seite, es war kleiner und glatter als das von Handsome. Er starrte es eine weitere Minute an. Irgendetwas stimmte nicht mit den Proportionen. Es schien ihm, als fehlte der Fuß, doch als er näher kam, sah er, dass es das nicht war. Er kam noch näher und sah, dass das Bein einen Fuß hatte, aber er war winzig. Er hätte einem siebenjährigen Kind gehören können. Dann sah er sich im Zimmer um, sah zuerst ihre Hand, dann den Rest. Dem Blut nach zu urteilen, hatte das Morden im Bett angefangen und sich dann quer durch den Raum zum Fenster hin fortgesetzt.
Dem Blut nach zu urteilen, hatte es dort aufgehört.
Auf dem Hocker vor der Staffelei lag ein Messer. Papierzeichnungen von Blumen lagen auf dem Boden, neben den echten Blumen. Der Raum war reglos, und auch er war reglos. Ihm kam es vor, als sei es bereits eine Erinnerung. Er verließ das Zimmer und setzte sich auf die Treppe. Wo waren die Chinesen, als das Mädchen um Hilfe gerufen hatte? Aber wahrscheinlich hatte sie gar nicht um Hilfe gerufen. Charley nahm den Kopf in seine Hände und dachte an sie. Da war etwas Zurückhaltendes gewesen, und etwas Trauriges. Er verstand nicht, was in einem chinesischen Herzen vor sich ging, dass so etwas geschehen konnte. Da konnte man schon eher die Indianer verstehen.
Er ging die Treppe hinunter, dann nach draußen. Es war fünf Uhr morgens, und als Charley in die Main Street einbog, sah er, dass der Himmel im Norden pfirsichfarben leuchtete. Deadwood war der einzige Ort, an dem Charley je gewesen war, wo der Tag im Norden anbrach. Er starrte einen Moment in diese Richtung, kehrte dem Himmel dann den Rücken und ging in Richtung Süden, den Berg hinauf zum
Grand Union Hotel
.
Seth Bullock hörte Solomon hereinkommen. Es war so spät, dass er zuerst dachte, Solomon stünde auf. Sein nächster Gedanke war, dass irgendetwas passiert war. Bullock lauschte und wartete auf vertraute Geräusche. Draußen herrschte Totenstille. Nicht einmal eine Katze war auf der Straße. Er kannte Solomon. Er kannte Details wie die Anzahl der Schritte, die er zwischen Kommode und Kleiderschrank zurücklegte. Er kannte die Reihenfolge, in der er seine Kleidung aufhängte. Doch den Schritten aus dem Nachbarzimmer fehlte es an Zielstrebigkeit. Solomon ging weder zu seinem Kleiderschrank noch zur Kommode. Er wanderte herum, vom Fenster zum Bett und wieder zurück zum Fenster.
Bullock stand aus seinem Bett auf und zog die Stiefel an. Für den Fall der Fälle schlief er mit seiner Hose. Wurde er gerufen, kam der Sheriff gern rechtzeitig genug, um einen Gefangenen den wackeren Bürgern abzunehmen, bevor sie ihn aufknüpften, aber auch nicht so rechtzeitig, dass bei der Gefangennahme auf ihn geschossen wurde. Seth Bullock hatte nicht vor, wegen der Eskapaden eines ordinären Säufers zu sterben.
Er trat hinaus in den Flur, der sein Zimmer mit dem von Solomon verband, und spürte seine schweren Beine. Er hatte die Nacht nicht besonders gut geschlafen. Immer wieder hatte er an den Brief gedacht, den er an Solomons Frau geschrieben hatte.
Mein streng vertraulicher Rat in dieser Angelegenheit
, hatte er geschrieben,
ist, dass Sie zu uns in die Hills kommen, denn ich bin überzeugt, dass Ihr besonnener Einfluss Solomon wieder zur Vernunft bringen wird
.
Er hatte im Bett gelegen und über Solomons plötzliche Neigung für Aussichten und Blumen nachgedacht, und was der Brief diesbezüglich für Folgen
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