Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Abkürzungen. Solche Begriffe findet man leider nicht im Wörterbuch, man muss sie von anderen lernen. Im Englischen ist es schon schwierig genug, diesen Fachjargon zu beherrschen, aber im Deutschen kam mir alles erst recht wie ein einziger großer Buchstabensalat vor. Eine sight survey , bei der man vorab die Örtlichkeiten nach geeigneten Kamera- und Übertragungswagenpositionen sowie Übernachtungsmöglichkeiten auskundschaftet, ist im Deutschen zum Beispiel eine Vorbesichtigung , ein Wort mit fünf Silben. Der SNG Truck oder Satellite Truck heißt hierzulande Satellitenübertragungswagen , ein Monsterwort mit insgesamt zehn Silben. Und ich hatte nur wenig Zeit, mir diese Begriffe anzueignen.
Denn schon kam der nächste dringende Anruf:
»Wir brauchen ganz dringend die Digi und einen Ü-Wagen in Italien.«
»Okay, gerne, wenn du mir sagst, was Digi bedeutet.«
»Oh, Digi steht für unsere mobile Uplinkstation in München.«
Ich hätte hinter Digi einen Hund vermutet.
»Und wo genau in Italien soll der Ü-Wagen hingeschickt werden?«
Während es unter den deutschen Kollegen offenbar zum Allgemeinwissen gehörte, alle möglichen Orte in Italien, Frankreich, der Schweiz und anderen europäischen Ländern zu kennen, hörte ich diese Namen alle zum ersten Mal. Ich lernte also nicht nur die Fachbegriffe, sondern musste mich auch auf der europäischen Landkarte zurechtfinden. Als ob die ganzen Wörter nicht schon genug Arbeit machten!
Auf meinem Schreibtisch lag eine immer länger werdende Übersicht von deutschen Modewörtern und Fachausdrücken, mein offizieller Spickzettel.
Als ein wichtiger Strafprozess bevorstand, musste ich mich mit dem Juristendeutsch vertraut machen. Ich sollte die Übersetzungen der deutschen Tagesmeldungen an die englischsprachigen Kollegen liefern und wollte inhaltliche Fehler natürlich vermeiden. Dazu war eine ständige Feinabstimmung nötig.
»Was ist der Unterschied zwischen Schießerei und Schusswechsel ?«, lautete eine typische Frage von mir. »Ist das nicht beides das Gleiche?«
»Ja, das ist inhaltlich kein Unterschied.«
»Und was bedeutet BKA ?«
»Das steht für Bundeskriminalamt. Ich denke, das kann man mit dem amerikanischen FBI vergleichen.«
»Und was heißt Vorermittlungsverfahren und Selbstmordattentäter und Untersuchungsgefängniszelle , und warum haben all diese Wörter so viele Silben?«
Solche Begriffe hatte ich natürlich nicht im Deutsch-kurs gelernt. Daher musste ich mir diese Sprache in meinem persönlichen Juristische Fachbegriffe im Deutschen für fortgeschrittene Anfänger -Kurs selbst beibringen.
Während ich in meinem Job immer besser klarkam und Menschen aus den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen kennenlernte, bekam ich auch allmählich einen besseren Einblick in die deutsche Arbeitskultur. Es fing damit an, dass ich lernte, was ein Betriebsrat ist. Ich erfuhr, dass diese Institution interessanterweise aus der deutschen Nachkriegszeit, der Phase des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders, stammt und damals wie heute die Funktion hat, die Arbeitnehmerinteressen zu vertreten und für gute Beziehungen zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu sorgen.
Für Amerikaner ist dieses Konzept einer von der Basis bestimmten Kontrollinstanz neu, da in den USA die alleinige Verantwortung bei den Führungskräften liegt (abgesehen von ein paar Gewerkschaften in beschäftigungsstarken Sektoren).
Meine erste und einzige direkte Begegnung mit dem Betriebsrat der Nachrichtenzentrale hatte ich an einem besonders hektischen Tag. In Eschede bei Hannover war ein ICE entgleist und gegen eine Brücke gerast. Eine Meldung jagte die nächste, und meine Kollegen und ich hatten alle Hände voll zu tun, um die logistischen Vorbereitungen für den Einsatz mehrerer Kamerateams und Reporter zu treffen. Ich fühlte mich wie eine der Wüstenspringmäuse meiner Tochter, wenn sie in ihrem Käfig herumflitzen: um mich herum nur hektisches Gewusel und Gefiepe.
Meine wichtigste Aufgabe war, die Kameraleute, Reporter und Producer, ihre Ausrüstung und die Übertragungstechnik zu einem bestimmten Ort zu bringen und dort so zu koordinieren, dass alle wussten, was zu tun war. Jeder Sender unsererGruppe musste schnellstens mit aktuellen Informationen versorgt werden, die dann sofort über die Fernsehbildschirme flimmern sollten. Dazu standen meine Kollegen und ich ständig mit unserem Leitungsbüro in Kontakt, um die Sendefrequenzen und Überspielungszeiten auf dem bird ,
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