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Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet

Titel: Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Kloeppel
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Prinzessinnen, Feen, Clowns, Tiere, Hofnarren und vieles mehr.
    Am nächsten Tag – wie ich später erfuhr, war es der Rosenmontag – stieß ich auf eine dicht gedrängte Menschenmenge und beschloss, mich einfach dazuzustellen. Vielleicht würde hier irgendwas passieren. Nach einiger Zeit begann es zu schneien, und ich fühlte mich fast wie daheim im Mittleren Westen. Doch dann kamen Traktoren, die geschmückte Wagen hinter sich herzogen, auf denen riesige Figuren aus Pappmaché thronten, mit grotesken Körpern und Köpfen so groß wie Kleinwagen. Von den Wagen aus warfen Menschen Bonbons – im Rheinland als Kamelle bekannt –, Blumen und andere unidentifizierbare Flugobjekte in die Menge. Die anderen Zuschauer waren begeistert, aber ich zog jedes Mal den Kopf ein, wenn wieder eine Ladung auf mich herunterprasselte. Nach einigen Stunden Karneval hatte ich genug gesehen, und blieb den Rest des Tages zu Hause. Bei Tageslicht schien mir Köln noch halbwegs sicher, in der Nacht traute ich mich, ehrlich gesagt, nicht vor die Tür.
    Von diesem Tag an habe ich – ohne mir besonders große Mühe zu geben – eine Menge über Karneval gelernt. Das ist im Rheinland auch nicht schwierig, denn dort gibt es in nahezu jedem Ort mindestens einen Karnevalsverein, und die Leute warten das ganze Jahr sehnsüchtig auf den Anbruch der närrischen Zeit.
    Die Menschen laufen dann in Kleidern herum, die ich – wenn überhaupt – eigentlich nur nach dem Genuss einigerGläser Alkohol anziehen würde. Während vielen Männern – von den Strumpfhosenträgern mal abgesehen – eine Pappnase oder ein einfaches Kostüm reicht, verkleiden sich die Frauen gerne fantasievoll mit Perücken, falschen Zöpfen, Clownkostüm oder selbst entworfenen verführerischen Kreationen. Wer das Ergebnis zahlloser Aerobicstunden zur Schau stellen will, trägt ein enges Kostüm und zeigt viel Haut. Und die, die einfach nur Spaß haben wollen und nicht erwarten, jemanden näher kennenzulernen, ziehen auch weite lustige Sachen an und gehen beispielsweise als Kuh oder Schwein. Ich glaube, einmal habe ich sogar eine Frau gesehen, die als Toilette verkleidet war. Ich fürchte, sie blieb den ganzen Abend alleine.
    Der psychologische Aspekt dieser Lust an der Verkleidung beschäftigt mich jedes Jahr aufs Neue. Eine Woche lang haben erwachsene Menschen die Gelegenheit, in eine Rolle zu schlüpfen, ein anderer zu sein als sonst, und können dabei aus sich herausgehen. Aber warum dann ausgerechnet als Klo oder Kuh?
    Nach so vielen Jahren in Deutschland weiß ich, dass es nicht ratsam ist, sich erst bei Anbruch der Karnevalszeit ein Kostüm zu besorgen. Denn dann ist in den Läden die Hölle los. Glücklicherweise sind die großen Fachgeschäfte für Karnevalsbedarf das ganze Jahr über geöffnet. In Köln entdeckte ich sehr schnell ein Kaufhaus für Kostüme. An endlosen Kleiderstangen hingen dort schon im Sommer die leeren Hül-len von Leoparden, Rittern, Feen, Vampiren, Feuerwehrleu-ten und Hexen. Bei meinem ersten Besuch dachte ich: »Wow, das ist größer als jeder Halloween-Shop, den ich je gese-hen habe.«
    Am besten erleben kann man den Übergang von normal zu Karneval am 11. 11. um 11 Uhr 11. Lustigerweise war ich einmal zu genau dieser Zeit mit meiner Mutter und meiner Schwester in der Bonner Innenstadt unterwegs. Ich ahnte nicht, dass wirum 11 Uhr auf dem Rathausplatz plötzlich in einer riesigen Menschenmenge stecken würden, während eine Oldieband Karnevalsschlager spielte und Menschen in den tollsten Verkleidungen ausgelassen tanzten, mit den Nachbarn schunkelten, Bratwurst futterten und Bier tranken.
    Meine Schwester und meine Mutter fragten natürlich mich, die große Deutschland-Expertin: »Was ist da los, Carol? Ist da eine Party?«
    Da ich selbst von dem Treiben überrascht war, musste ich kurz überlegen, bis mir einfiel, dass die Karnevalszeit begonnen hatte. Und dann versuchte ich, zwei kulturell durchaus aufgeschlossenen Amerikanerinnen Sinn und Unsinn von Karneval zu erklären, mit allem was dazu gehört. Keine leichte Aufgabe, weil auch mir bis heute nicht so ganz klar ist, wieso ausgerechnet am 11. 11. im Rheinland eine neue Zeitrechnung beginnt.
    Meine Mutter blieb hin und wieder stehen, weil ihr die Musik gefiel. Sie meinte, dass mein Vater mit seinen deutschen Wurzeln seine wahre Freude an dem bunten Treiben gehabt hätte. Ja, dachte ich, bestimmt hätten ihm die Karnevalslieder und das deutsche Bier gefallen, aber ich möchte nicht

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