Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Landwirtschaftsausstellung.
Sechs Wochen vor Ostern nähert sich der Karneval bekanntlich seinem Höhepunkt. Weiberfastnacht steht vor der Tür. An diesem besonderen Donnerstag wird der Straßenkarneval eröffnet, und die Frauen übernehmen das Regiment. Eigentlich keine schlechte Idee, den Frauen das Zepter zu überlassen, allerdings schlagen einige meiner deutschen Geschlechtsgenossinnen dabei ziemlich über die Stränge. Sie stellen gemeine Sachen mit den armen Männern an. Vor allem mit deren Krawatten. Männer sind gut beraten, an diesem Tag ihre hässlichste Krawatte zu tragen, da von dieser im Laufe des Tages nicht viel übrig bleiben wird, denn die Frauen schneiden sie einfach ab. Was genau dahintersteckt, habe ich bis heute nicht begriffen, vielleicht will ich es auch gar nicht so genau wissen. Auch Männer, die bei der Arbeit eine Krawatte tragen, sollten auf der Hut sein. Die Frauen dürfen selbst am Arbeitsplatz Krawatten den Garaus machen, ohne eine Kündigung befürchten zu müssen.
Mit großem Staunen stellte ich fest, dass sogar im Job Karneval nicht zu kurz kommt. Manche Firmen organisieren an Weiberfastnacht eine Musikkapelle, die in der Eingangshalle oder in der Kantine spielt. Bei RTL rückte viele Jahre lang sogar die Kölner Prinzengarde in voller Montur an. Behängt mit wichtigen Karnevalsorden brachten sie Frohsinn und Bier unters Volk, und die Arbeit blieb liegen.
Wenn man weiß, dass die Frauen an Weiberfastnacht bereits vormittags Alkohol trinken (das tun zugegebenermaßen auch die Männer) und Krawatten abschneiden, kann man sich ausmalen, wie es abends zugeht. Auf den Straßen tummeln sich Horden wild gewordener Weiber. Und natürlich herrscht Damenwahl …
Mein aus Kindheits- und Jugendtagen geprägtes Bild von den immer beherrschten, rastlos arbeitenden und der Kultur zugetanen Deutschen bekam in meiner Kölner Zeit einige schwere Kratzer. Aber ich begann auch zu verstehen, wiesoKarneval als fünfte Jahreszeit gilt: Es sind einige Wochen im Jahr, an denen die sonstigen Regeln keine Gültigkeit haben.
Auch wenn ich mir große Mühe gebe, diesen allseits anerkannten Regelverstoß zu genießen, musste ich doch mit den Jahren feststellen, dass mir wahrscheinlich ein paar genetische Voraussetzungen fehlen, um Karneval in vollen Zügen feiern zu können.
In meiner frühen kulturellen Anpassungsphase war ich einmal mit meinem Mann und ein paar Freunden an Weiberfastnacht unterwegs. An jenem Februarabend war es zugig und kalt, und die meisten Kneipen waren derart überfüllt, dass die Leute auch auf der Straße standen und ihr Bier im Schneeregen tranken. Ich sehnte mich die ganze Zeit nach einem heißen Kaffee und einem ruhigen Platz am Kamin. Mir war es ein Rätsel, warum es Spaß machen sollte, mit einem kalten Bier im Regen herumzustehen. In meinem Cowgirl-Outfit klapperte ich mit den Zähnen. Vielleicht hätte ich mich besser als Eisbär verkleidet.
Trotzdem gab ich nicht auf. Ein paar Jahre später war ich mit einer reinen Frauenrunde unterwegs. Mit dabei war meine immer fröhliche Freundin Bärbel, die mir vieles über die deutsche Kultur beigebracht hat. »Komm schon, lass uns einfach in die Kneipe gehen und uns amüsieren. Wir brauchen nicht ein-mal ein Taxi zu nehmen, weil es ganz in der Nähe ist. Und es sind bestimmt viele Bekannte da. In dem Laden steppt heute Abend nämlich der Bär«, überredete Bärbel mich, mit ihr loszuziehen.
Der Laden entpuppte sich als Dorfkneipe, und wir mussten erst einmal Schlange stehen, bevor wir in den zum Bersten gefüllten Schankraum reingelassen wurden. Irgendwann schob mich einer der Türsteher durch den Eingang wie ein Stück Vieh – dabei trug ich nicht einmal Peters Kuhkostüm. Das Ganze erinnerte mich sehr an ein Rockkonzert in meiner Zeit als Teenager, nur leider ohne Mick Jagger.
Als wir schließlich drinnen waren, war es dermaßen eng, dass mich nicht von der Stelle rühren konnte und auch noch die ganze Zeit den Bauch einziehen musste. Es war kaum möglich, einen Schluck zu trinken, ohne seinen Nebenmann mit dem Ellbogen zu rammen. Außerdem war das Bier lauwarm, weil die Kellnerin mit dem Tablett ewig brauchte, um sich durch die Menge zu zwängen. Was sich letzten Endes als Vorteil erwies: Mir wurde geraten, an diesem Abend die Toiletten möglichst zu meiden, weil sie erstens immer besetzt wären und zweitens keinen besonders schönen Anblick böten.
Ich hielt mich den ganzen Abend an einem Glas Bier und der Hoffnung fest,
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