Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
dass es irgendwann vielleicht etwas ruhiger werden würde. Weit gefehlt. It was party time!
Irgendwann begannen die Leute in der übervollen Kneipe, durch die Fenster zu klettern, statt die Tür zu benutzen. Es war unglaublich. Wo war das Ordnungsamt, wenn es gebraucht wurde? Anarchie war der Begriff, der mir in dieser Situation sofort in den Sinn kam. Wäre in dem Laden ein Feuer ausgebrochen, wären wir jetzt wahrscheinlich alle tot, dachte ich. Aber im Ernst: Wo war an solchen Tagen die Feuerwehr? Vermutlich hatte sie sich kostümiert unters Volk gemischt.
Eine Weile versuchte ich das Beste aus der Situation zu machen, indem ich, von allen Seiten bedrängt, an meinem warmen Bier nippte, mit den Füßen auf der Stelle wippte und dazu Karnevalslieder sang.
Oh ja, ich habe mitgesungen, so gut es ging. Allerdings ist es für eine Ausländerin nicht ganz leicht, Karnevalslieder auswendig zu lernen, vor allem dann nicht, wenn sie auf Kölsch verfasst sind. Andererseits hat dieser Dialekt auch Vorteile, denn in den Texten kommen so leicht auszusprechende Worte vor wie Zick , Lück , dunn , han oder hammanit vor. Das schafft man auch als Amerikanerin. Am Ende des Abends konnte ich tatsächlich den Refrain von Die Karawane zieht weiter fehlerfrei mitsingen. Fast hätte ich vor Stolz einen Einbürgerungsantrag gestellt.
Obwohl der Rosenmontag als der Höhepunkt des närrischen Treibens gilt, setzt da schon, wie ich finde, eine gewisse Ermattung bei vielen Karnevalisten ein. Vielleicht haben deshalb auch die meisten Geschäfte geschlossen, und man kann auch sonst nicht viel erledigen. Eine gute Möglichkeit, sich an diesem Tag die Zeit zu vertreiben, ist es, mit seinen Kindern zu einem der vielen Umzüge zu gehen.
Auch in New York gibt es jedes Jahr Ende November einen großen Umzug: die Thanksgiving-Parade. Bei diesem Event sind die mit Gas gefüllten riesigen Plastikfiguren wie Spiderman, Bart Simpson oder Snoopy die große Attraktion. Hunderttausende Menschen stehen am Broadway, um den Zugteilnehmern zuzujubeln. Die Parade ist aber schon gegen Mittag vorbei, und alle gehen nach Hause, um den Truthahn in den Ofen zu schieben, den es dann am Abend mit Soße, Süßkartoffeln und vielen anderen Leckereien zu essen gibt. Diese Parade ist im Grunde aber nicht mit den hiesigen Karnevalsumzügen vergleichbar.
In Deutschland ist es zu meiner großen Verwunderung so, dass erfahrene Zugbesucher schon sehr früh mit Campingausrüstung, Bier und Grillgut anrücken, um sich einen guten Platz am Straßenrand zu sichern. Natürlich darf der Ghettoblaster nicht fehlen, da laute Musik für gute Karnevalsstimmung sorgt. Schließlich kommt man schnell mit anderen Jecken in Kontakt, wenn auf der Straße geschunkelt wird.
Ein paar Freunde gaben mir den Tipp, mich wenigstens ein bisschen zu verkleiden, wenn ich zum Zoch gehe. Schließlich sollte ich in der Masse nicht unangenehm auffallen. Also zog ich bei den Karnevalsausflügen mit meiner Tochter wenigstens ein lustiges Käppi auf und malte mir rote Punkte ins Gesicht. Peter musste sich eine Pappnase aufsetzen. Er weigerte sich allerdings, das Kuhkostüm in der Öffentlichkeit zu tragen.
Erfahrene Karnevalisten sind bei den Umzügen immer mit großen Plastiktüten oder Taschen ausgestattet, weil von den Wagen alles Mögliche in die Menge geworfen wird: Schokolade, Pralinen, Bonbons, Toilettenpapier, Taschentücher, Rosen, Obst, Spielzeug, T-Shirts, Kerzen, Lebensmittel, Hundefutter und sogar Blutwurst-Scheiben (zum Glück eingeschweißt). Ich wundere mich immer wieder, was alles in der mitgebrachten Tüte landet. Hinterher vergewissere ich mich aber noch mal, was ich selbst esse und was der Hund der Nachbarn bekommt.
In Köln endet der ganze Spuk schließlich mit der Nubbelverbrennung um Mitternacht am Aschermittwoch. Der Nubbel ist eine lebensgroße, vogelscheuchenähnliche Strohpuppe. Diese Feuerbestattung kann ich jedes Mal kaum erwarten, wenn ich ehrlich bin. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Peter, Geena und ich zufällig an Karneval immer in den Skiurlaub fahren.
Wie gerne vor allem die jungen Leute sich verkleiden und auf der Straße Unsinn machen, merke ich daran, wie populär Halloween hier seit Anfang der Neunzigerjahre geworden ist. Trotzdem lässt es sich mit dem klassischen, amerikanischen Brauch nicht ganz vergleichen.
Als Amerikanerin zerbrach ich mir in den ersten Jahren den Kopf, wie ich meine Tochter in der deutschen Umgebung mit Halloween vertraut machen
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