Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
sie von ihren Grübeleien ab, wenn auch nur für kurze Zeit.
Sie pfiff nach Khan, öffnete die Tür der Fahrerkabine, und er sprang über ihren Sitz hinweg auf seinen Platz an der Beifahrerseite. »Du bist ganz schön verwöhnt«, bemerkte sie lächelnd und drehte den Zündschlüssel. Unbeabsichtigt fuhr sie so heftig an, das Kies aufspritzte.
Tief in Gedanken versunken, hätte sie beinahe die Abzweigung zu ihrem neuen Haus verpasst. Die Zufahrt war überwuchert, Dornengestrüpp und Rankgewächse wuchsen um das rostige, stets offene Tor, das schief in den Angeln hing. Sie bremste abrupt, wobei Khan beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
»Entschuldigung«, sagte Shannon und lenkte den Pick-up auf den Privatweg. Die Furchen des unbefestigten Weges waren so tief, dass das trockene Unkraut dazwischen am Bodenblech des Pick-ups scharrte. Unter Bäumen hindurch fuhr Shannon ins Vorgebirge hinauf. Holpernd und rumpelnd kämpfte sich der Wagen langsam aufwärts. Shannon schaltete herunter und nahm sich vor, ein paar Wagenladungen Kies zu bestellen.
Wenn ihr Leben wieder in normalen Bahnen verlief. Sofern das jemals wieder der Fall sein würde.
Nach einer letzten Biegung gelangte sie auf eine Lichtung am Rand eines klaren Sees. In Ufernähe stand ein weitläufiges Haus, erbaut in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Es war zwei Stockwerke hoch, doch das Obergeschoss war seit Jahren unbenutzt. Eine gepflegte Scheune, ein Stall, eine Doppelgarage und mehrere Schuppen befanden sich am nördlichen Ufer des aus einer Quelle gespeisten Sees. Ein Bootshaus und ein Anlegesteg ragten ins Wasser hinein, über dem Libellen schwirrten. Forellen schwammen dicht unter der Oberfläche.
Gleich als Shannon die Ranch zum ersten Mal sah, hatte sie sich zu Hause gefühlt, auch wenn sie sich selbst nicht erklären konnte, warum. Dieses merkwürdige, ein wenig heruntergekommene Gehöft hatte es ihr angetan. Sicher, hier musste noch viel Arbeit investiert werden, aber Gebäude und Grundstück waren größer als ihr derzeitiges Zuhause, abgelegener, und was das Wichtigste war: Hier erinnerte nichts sie an die Vergangenheit.
Außerdem befanden sich die Wirtschaftsgebäude im Unterschied zu dem alten Haus doch in recht gutem Zustand, und das Grundstück war ideal für das neue Leben, das sie sich nach Ryans Tod aufgebaut hatte. Sie malte sich aus, wie sie ihre Tätigkeit erweitern, größeres Gewicht auf die Ausbildung von Rettungshunden legen und sie in ihrem eigenen See trainieren würde.
Und auf der großen Wiese hinter der Scheune könnte Nate mit den Pferden arbeiten.
Nate.
Sie hatte noch immer nichts von ihm gehört.
Ihre Beziehung war etwas Einzigartiges. Die meisten Leute hielten sie für ein Liebespaar – zwei Sonderlinge, die auf demselben Grundstück lebten, zwei Einzelgänger. Doch obwohl nichts Wahres an den Gerüchten war, die in Santa Lucia kursierten und nach denen sie und Nate eine Affäre hatten, unternahm Shannon nichts gegen das Gerede. Nate arbeitete mit den Pferden, sie mit den Hunden. Nate hatte achtzehn Monate im Gefängnis zugebracht, bevor seine Verurteilung wegen Mordes aufgehoben wurde, weil neue DNA-Analysen seine Unschuld bewiesen. Und sie selbst war beschuldigt worden, ihren Mann ermordet zu haben … Nein, sie beide waren kein Paar, bisher jedenfalls nicht. Das lag allerdings an ihr, nicht an ihm, und vermutlich war es der Grund dafür, dass es in letzter Zeit Unstimmigkeiten zwischen ihnen beiden gab: Nate versuchte, ihr den Grundstückskauf auszureden, weil er glaubte, sie wolle sich durch den Ortswechsel von ihm distanzieren.
Shannon verzog das Gesicht. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie er für sie empfand, denn tief im Herzen wusste sie, dass sie sich nie in ihn verlieben würde. Womöglich wäre er einfach der ›Richtige‹ für sie, auch wenn ihre Brüder anderer Meinung waren. Aber sie hatte sich nun einmal noch nie den ›Richtigen‹ ausgesucht. Im Augenblick war der einzige Mann, den sie interessant fand, Travis Settler, und die bloße Vorstellung, sich mit ihm einzulassen, war schlicht absurd, so attraktiv er als Mann auch sein mochte. Er hatte sie immerhin verdächtigt, seine Tochter entführt zu haben, und ihr mit geradezu militärischer Ausstattung nachspioniert. Seit er nach Kalifornien gekommen war, wurde alles immer schlimmer.
Nein, Travis Settler war eindeutig ein Mann, um den sie einen weiten Bogen machen sollte. Alles andere wäre ein großer Fehler, und sie hatte
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