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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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mit der Flüchtigkeit des Traums, und William preßte die Lider fest zu gegen die aufkommenden Tränen.
     
     

* 10
     
    Ein weiterer Lieblingsspielplatz der Kinder vom »Island« war Island Gardens, ein kleiner Park am Flußufer direkt gegenüber Greenwich, den das London County Council 1895 angelegt hatte.
     
      Eve Hostettler, aus: Erinnerungen an eine Kindheit
     
    Gemma wurde durch Tobys Stimme aus einem wirren, morgendlichen Traum geweckt. Als sie die Augen aufschlug, erkannte sie im Gegenlicht vor dem Fenster zum Garten die kleine Silhouette ihres Sohnes, der neben ihrem Bett stand.
      »Mami, ich hab schlecht geträumt.«
      »Wirklich, Schätzchen?« Sie setzte sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Das blaßblaue Karussellpferd, das ihr Sohn gegen seine Brust gepreßt hielt, hatte schon einen Teil seines Sattels aus Filz eingebüßt, und von seiner einst weißen Mähne und dem Schweif waren nur noch kümmerliche Reste übrig. Seine schwarzen Glasaugen jedoch waren glänzend und klar wie am ersten Tag, und Toby liebte das Stofftier mit Hingabe und Treue. »Hat Pferdchen auch schlecht geträumt?« fragte sie und fühlte am Hals des Jungen nach Anzeichen von Fieber. »Sind es wieder die Monster gewesen?«
      Toby nickte heftig, und sie schwor sich insgeheim, ihm abends nie wieder aus dem Buch Wo die Wilden Kerle leben vorzulesen. »Komm zu Mami ins Bett, Herzchen, und schlaf weiter.« Als er sich zwischen sie und die Wand kuschelte, legte sie kurz ihre Wange an seine und genoß seinen süßen Duft. Auch wenn er täglich mehr wie ein kleiner Junge aussah, im Schlaf roch er noch immer wie ein Baby.
      Sie lag still neben ihm und horchte auf seine Atemzüge. Trotzdem verspürte sie eine wachsende Unruhe, eine Rastlosigkeit, die sich schließlich nicht mehr unterdrücken ließ. Nach einer halben Stunde glitt sie aus dem Bett und ging zum Fenster. Sie zog die Jalousien hoch, beobachtete eine Weile, wie fahles Licht über den Garten kroch, und horchte auf die Vögel, die den Tag mit geradezu aufreizender Fröhlichkeit begrüßten. Sie fühlte dumpfe Kopfschmerzen aufkommen, Symptome eines mittelschweren Katers.
      Am vergangenen Abend, während sie auf Kincaids Anruf nach dessen Treffen mit Ian McClellan gewartet hatte, hatte sie mehr als die zwei Gläser Wein getrunken, die normalerweise ihr Limit waren. Aber Duncan hatte nichts von sich hören lassen, und schließlich war sie, bereits reumütig angesichts ihrer Maßlosigkeit, ins Bett gekrochen.
      Bestimmt war Kincaid noch immer verärgert wegen der Sache mit Gordon Finch. Gemma trat vom Fenster zurück und ging in ihre kleine Küche, um Teewasser aufzusetzen. Es sah ihm nicht ähnlich, nachtragend zu sein, weder privat noch beruflich, aber seit Vics Tod war er in seinen Launen und seinen Temperamentsausbrüchen unberechenbar geworden.
      Der Wasserkessel pfiff, als sie die Kaffeebohnen aus dem Kühlschrank genommen und gemahlen hatte, und während sie den Kaffee aufgoß, dachte sie an Annabelle Hammond. Welcher Zauber mußte von ihr ausgegangen sein, daß sie andere Menschen zwingen konnte, ein Leben nach ihren Bedingungen zu akzeptieren? Dahinter hatte mehr als nur äußere Schönheit gesteckt, soviel war ihr klargeworden. Einen Moment wünschte Gemma, sie gekannt zu haben ... selbst beurteilen zu können, ob sie eine Heilige oder eine Sünderin gewesen war.
      Eine Stunde später, als Toby glücklich singend seine Cornflakes aß, zog sie sich sorgfältig an: beige Hose, weißes T-Shirt und einen olivfarbenen Leinenblazer. Sie war entschlossen, an diesem Tag der Welt draußen professionell und geschäftsmäßig gegenüberzutreten, welche Temperaturen auch immer herrschen mochten.
      Obwohl der Morgen eine kleine Atempause von der sengenden Hitze des Vortages versprach, war die Luftfeuchtigkeit mit der dünnen Wolkendecke gestiegen, die den Himmel wie geronnene Milch überzog. Schon auf der Fahrt ins East End fühlte sie, wie sich ein feiner Feuchtigkeitsfilm auf ihre Haut legte, und sie fragte sich, ob schiere Willenskraft verhindern konnte, daß sie dahinschmolz, noch bevor ihr Arbeitstag überhaupt begonnen hatte.
      Kincaid war bereits vor ihr angekommen und wartete, gegen den Rover gelehnt, den er gegenüber der Firma Hammond’s am Straßenrand geparkt hatte. Er richtete sich auf, sah ihr lächelnd entgegen und fuhr sich mit der Hand durch sein windzerzaustes Haar. »Könnte Regen geben«, sagte er zur

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