Debütantinnen - Roman
Sie hatte ihr fast alles erzählt, und das war neu, denn normalerweise war sie ihrer Mutter gegenüber recht distanziert. Ein Teil von ihr − ein unfairer, grausamer, kindischer Teil − hatte ihrer Mutter stets Vorwürfe gemacht, weil sie ihren Vater verlassen hatte, hatte nicht glauben wollen, dass die Dinge tatsächlich so waren, wie sie waren. Wenn ihre Mutter sich mehr Mühe gegeben hätte oder liebevoller gewesen wäre, hätte er sich vielleicht geändert. Und als er starb, war die Entfremdung zwischen ihnen zu einer gähnenden Kluft angewachsen. Cate wusste, dass ihr Unmut hauptsächlich auf die Tatsache zurückzuführen war, dass ihre Mutter immer da gewesen war und all das getan hatte, was Eltern tun sollten, wie etwa dafür zu sorgen, dass sie ihre Hausaufgaben machte und abends früh genug ins Bett ging. In ihrem kindischen Seelenzustand konnte sie nicht wütend sein auf ihren Vater, konnte es nicht riskieren, ihn noch weiter von sich wegzustoßen. Also hatte sie stattdessen ihre Mutter bestraft − die da war, die immer für sie da war. Cate hatte sie sich auf Armeslänge vom Leib gehalten, fest entschlossen, ihr nur das Nötigste von sich zu erzählen, besonders aus ihrer New Yorker Zeit.
Doch als Cate ihr am Telefon ihr Herz ausgeschüttet hatte, war sie nicht verurteilt worden – was sie eigentlich erwartet hatte. Ihre Mutter wollte wissen, ob sie sie in Spanien besuchen wolle. Sie würde ihr gern ein Flugticket kaufen. Doch Cate erklärte ihr, dass sie gerade für Rachel arbeitete, aber gern kommen würde, sobald der Auftrag abgewickelt war.
Sie erzählte ihr nicht von dem Schuhkarton und ihrem zwanghaften Wunsch, hinter das Geheimnis von Baby Blythe zu kommen. Sie wusste, dass daran etwas Zwanghaftes war. Anfänglich nicht mehr als eine Zerstreuung, war es ihr in zwischen ein echtes Bedürfnis, das verknotete Personen geflecht zu entwirren. Das ging weit über reine Neugier oder bloßes Interesse hinaus.
Cate und Rachel checkten in einem kleinen Hotel in Hook ein, ganz in der Nähe der Anwaltskanzlei. Sie teilten sich ein Doppelzimmer. Jack hatte sich woanders einquartiert. Cate versuchte, dem keine besondere Bedeutung zuzumessen, doch irgendwie kam es ihr doch eigenartig vor. Sie konnte nicht anders, als diese zweite Reise mit der ersten zu vergleichen. Und irgendwie vermisste sie die Stunden, die sie allein mit ihm in dem alten Haus verbracht hatte.
Als sie und Rachel am Tag vor der Auktion nach Endsleigh kamen, standen zahlreiche Autos in der Einfahrt, und das Haus war voller Menschen, die mit Katalogen in der Hand herumspazierten und sich die zur Versteiger ung kommenden Gegenstände anschauten. Mr Syms, übellaunig wie immer, in dem ewiggleichen dunklen Anzug und ernster Stimmung, überwachte die Auktion. Wachleute patrouillierten die Flure auf und ab, während Möbelpacker diverse Stücke aus den oberen Etagen nach unten schleppten. Aus der Bibliothek war sämtliches Mobiliar entfernt worden, um einen improvisierten Auktionssaal zu schaffen. Doch Jack war nirgendwo zu sehen.
Während Rachel die Einzelheiten des Vorgehens mit Mr Syms besprach und Anweisungen gab, schlenderte Cate ein letztes Mal allein durch das Haus. Aber es kam ihr verändert vor – ausgeraubt und nackt. An den Wänden waren Markierungen, auf dem Boden sonnengebleichte Flecken, die andeuteten, wo sich Möbel und Bilder befunden hatten. Die Räume selbst wirkten kahl und im Vergleich zu vorher seltsam verletzlich.
Cate ging die breite Treppe hinauf zum oberen Treppenabsatz und steuerte Irenes Zimmer an. Es war jetzt so leblos und unpersönlich wie eine Hotelsuite. Das Bett war abgezogen, der Teppich war mitten im Zimmer zusammengerollt. Sie drehte sich um, um nach dem Nachttisch zu sehen. Der Bücherstapel war verschwunden.
Sie hatte gehofft, noch einmal einen Blick auf alles werfen zu können und dabei vielleicht etwas zu entdecken, das in das Puzzle passte. Doch es war nichts mehr da.
Cate überquerte den Treppenabsatz und ging den langen Flur hinunter in den westlichen Teil des Hauses. Dort lag ein Raum, den sie unbedingt noch einmal sehen wollte. Die Tür war geschlossen, und sie drehte den Knauf, und genau wie beim ersten Mal traf das goldene Licht sie mit Wucht, blendete sie nach der Düsternis im Flur.
Nur war sie diesmal nicht allein. Jack war dort und verstaute Bücher in Kisten. Er drehte sich um.
»Schließen Sie die Tür«, befahl er.
Sie folgte seiner Bitte.
»Und hallo«, fügte er hinzu und schob
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