Decker & Lazarus 05 - Du sollst nicht luegen

ich kenn ihn nich.«
    »Aber Sie wissen, wie er aussieht?«
    »Klar.«
    »War er gestern hier?«
    »Nossir.«
    »Sind Sie ganz sicher?«
    »Yessir.«
    Decker seufzte innerlich. »Carl, joggt Miss Brecht manchmal nachts?«
    »Kann mich nich erinnern.«
    »Vielleicht ist Miss Brecht letzte Nacht gejoggt«, suggerierte Decker. »Sie haben sie vielleicht gesehen?«
    Totes drehte sich langsam um und sah Decker verwirrt an.
    »Haben Sie Miss Brecht letzte Nacht joggen gesehen, Carl?«
    Totes schüttelte den Kopf.
    »Aber sie läuft schon mal nachts?«
    Totes kratzte sich an der Nase. »Kann mich nich erinnern.«
    Decker unterdrückte seinen Frust. »Letzte Nacht ist also nichts Ungewöhnliches passiert?«
    Totes nickte bedächtig.
    »Und Sie haben auch Miss Brechts Bruder – Frederick Brecht – letzte Nacht hier nicht gesehen?«
    »Nossir.«
    »Was ist mit dem anderen Bruder von Miss Brecht – der, mit dem sie sich vor zwei Jahren gestritten hat?«
    Totes nahm seinen Hut ab. Der leere Ausdruck in seinen Augen war einem wütenden Funkeln gewichen. »Was soll mit dem sein?«
    »Kommt er oft hierher?«
    »Nich mehr.«
    »Als er das letzte Mal hier war, haben Sie ihn verjagt?«
    »Hab ich.«
    »Mit einer Schaufel.«
    »Hab ich.«
    »Warum?«
    »Weil er Miz Lilah angebrüllt hat.«
    »Hat Miss Lilah Sie um Hilfe gebeten?« Totes wirkte erneut verwirrt. »Ist sie zu Ihnen gelaufen und hat gesagt: ›Komm, Carl, hilf mir meinen Bruder wegjagen‹?«
    »Nossir.«
    »Aber Sie nahmen an, daß sie Hilfe braucht, und haben ihn mit der Schaufel verjagt.«
    »Mir paßte nich, wie er brüllte.«
    »Hat er Miss Lilah beschimpft?«
    »Beschimpft?«
    »Yeah, beschimpft. Mit ihr gezankt.«
    »Er hat gebrüllt. Vielleicht auch gezankt. Aber das Brüllen war schlimm genug.«
    »Weswegen haben sie sich angebrüllt?«
    Totes spuckte aus. »Geht mich nix an.«
    »Ich weiß, daß Sie nicht absichtlich lauschen würden, aber vielleicht haben Sie zufällig was mitgekriegt.«
    »Geht mich nix an.«
    Decker wechselte den Kurs. »Wie heißt übrigens Miss Lilahs Bruder?«
    »Freddy.«
    »Nein, Carl, der andere. Der, mit dem sie sich angebrüllt hat.«
    »Er hat gebrüllt.«
    »Okay, der, der sie angebrüllt hat. Wie ist sein Name?«
    Erneut wurde sein Blick leer. »Name?«
    »Macht nichts, wenn Sie es nicht wissen«, sagte Decker. »Dann werd ich’s von Miss Lilah erfahren.«
    Die Augen des Stallburschen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Wie geht es Miz Lilah?«
    »Ich denke, es wird alles wieder gut«, sagte Decker.
    »Wenn King ihr weh getan hat, bring ich ihn um«, erklärte Totes.
    Decker schrieb diese Bemerkung in sein Notizbuch. »Wer ist King, Carl?«
    »King«, sagte Totes. »Lilahs Bruder. Der, der gebrüllt hat.«
    Decker ließ das einen Augenblick im Raum stehen. Bei diesem Kerl mußte man wirklich ganz langsam vorgehen. »Lilahs anderer Bruder, der, der gebrüllt hat, der heißt King?«
    »Yessir. Ist mir grad eingefallen.«
    »Ist King sein Vor- oder Nachname?«
    Totes setzte seinen Cowboyhut wieder auf und zuckte ahnungslos mit den Schultern. »Sind wir bald fertig?« fragte er. »All dieses Gerede macht mich ganz wirr. Und wenn ich wirr bin, kann ich nicht arbeiten.«
    Decker steckte seinen Notizblock in die Jackentasche. Dann tätschelte er Apollo am Hinterteil und erklärte dem Stallburschen, sie wären fertig.

4
    Der Essensgeruch aus dem Ofen ließ Decker das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er stellte die Tüten mit den Backwaren auf den Eßzimmertisch und zog sein Jackett aus. Ginger kam aufgeregt bellend aus dem Nebenzimmer gerast.
    »Rina?«
    Keine Antwort.
    »Was kocht Mama denn da Schönes, mein Mädchen?« sagte Decker und streichelte die irische Setterhündin. Er ging in die Küche. Der Hund folgte ihm auf den Fersen. Auf den Anrichten standen Backbleche mit Hunderten winziger Knisches – kleine Blätterteigpasteten mit Kartoffel, Spinat oder Buchweizen gefüllt. Er nahm sich zwei davon, steckte sie in den Mund und spülte sie mit einem großen Glas Orangensaft herunter.
    Er warf einen Blick aus dem Fenster auf sein Land, dann öffnete er die Hintertür und ließ den Hund raus. Rina war nirgends zu sehen. Vielleicht war sie in der Scheune. Er rief noch einmal ihren Namen. Keine Antwort.
    Die Schaltuhr am Herd klingelte. Er öffnete die Herdklappe, sah, daß der Knischteig obendrauf goldbraun geworden war, und stellte die Hitze ab. Wenn sie Sachen im Ofen hatte, würde sie ja jeden Moment auftauchen müssen. Das sagte