Decker & Lazarus 05 - Du sollst nicht luegen
stieß ein Lachen aus.
»Ist ’ne Weile her, daß ich mit jemand so pubertäres Zeug geredet hab. Soviel zum Thema gutes Benehmen, Detective.«
»Wo waren Sie heute morgen, Mike?«
Ness’ Lächeln ließ eine gewisse Respektlosigkeit erkennen. »Gelte ich jetzt also offiziell als Verdächtiger?«
Decker wartete.
»Wie früh meinen Sie denn?« sagte Ness.
»Fangen Sie einfach mal an.«
»Okay.« Er atmete heftig aus. »Ich bin aufgewacht. Das tu ich nämlich jeden Morgen. Dann … mal überlegen, fa, um sieben bin ich mit einer Gruppe joggen gegangen. Danach hab ich einen Kleiepfannkuchen gegessen und Tee getrunken. Um neun und zehn hatte ich Aerobic-Kurse. Natanya hat dann ab elf übernommen. Mittags war ich am Pool.« Er zuckte die Achseln. »Da haben Sie’s. Mein Leben – von Mike Ness. Nur irgendwie kann ich es mir nicht als Drehbuch vorstellen.«
Decker steckte sein Notizbuch ein.
»Keine weiteren Fragen? Hab ich bestanden, Detective?«
Decker nahm eine Karte aus seiner Brieftasche. »Wenn Sie irgendwas über das hier hören – oder über die Vergewaltigung –, rufen Sie mich an.«
»Also sind wir Kumpel, Detective Sergeant?«
Decker legte seine kräftige Hand auf Ness’ Schulter. Sie war überraschend knochig. »Das würd ich nicht so sagen, Mikey. Und während wir noch hier rumstehen und reden, hör ich die Zucchinis nach Ihnen rufen. Warum machen Sie sich nicht auf die Socken, bevor Sie hier irgendwelche Spuren vermasseln?«
Ness warf einen letzten Blick auf den Ort des Geschehens. »Was für ein Tempo hatten Sie denn drauf?«
Statt einer Antwort wies Decker lässig mit dem Daumen auf die Felder. Ness entfernte sich ein paar Schritte, dann blieb er noch mal stehen. »Sie müssen ein ziemlich guter Reiter sein, Detective Sergeant.«
Decker nahm seine Kamera und schoß noch ein Foto. »Ja, das muß ich wohl.«
Das Sun Valley Animal Care Center war ein zweistöckiger bräunlicher Bau mitten im Ödland. Im Untergeschoß waren die Praxen der Tierärzte Dr. James Vector, Dr. Vera Mycroft und Dr. Skip Baker. Im oberen Geschoß befanden sich eine Art Tierklinik und die Labors. Hinter dem Haus lagen Scheunen, Zwinger und Ställe. Die Tierärzte – Decker hatte mit allen dreien schon mal irgendwann zu tun gehabt – machten auch Hausbesuche, aber manchmal war eben ein chirurgischer Eingriff oder eine ausgedehntere Behandlung notwendig, oder die Tiere brauchten eine Weile Genesung in ungestörter Umgebung. Vector, Mycroft und Baker – kurz VMB – war eine der wenigen Praxen in der Stadt, in der auch große Tiere behandelt werden konnten.
Decker stellte das Zivilfahrzeug auf einem unbefestigten Platz ohne markierte Parkbuchten ab. Fahrzeuge mit Vierradantrieb, Tieflader und Pickups standen willkürlich auf dem Platz verteilt, jedoch ohne sich gegenseitig zu behindern. Er schaltete den Motor aus, öffnete die Tür und stieg aus. Ein heißer, staubiger Wind blies ihm heftig ins Gesicht. Als nächstes drang eine Mischung aus Muhen, Blöken, Wiehern und Iahen an sein Ohr. Ganz automatisch begann er »Old Mac-Donald« vor sich hin zu pfeifen.
Es war bereits nach vier. Trotzdem war noch sehr viel Betrieb in der Klinik. Viele Leute kamen nach der Arbeit mit ihren Tieren vorbei. Und nicht bloß mit Hunden und Katzen. Es gab auch einen Skunk, einen Käfig mit Kaninchen, zwei gerade geborene Lämmer und ein Guernsey-Kalb. Der Warteraum war ursprünglich das Wohnzimmer des Hauses gewesen. Die alten Holzböden waren durch Kunststoffliesen ersetzt worden, die bereits von den Spuren tierischer »Mißgeschicke« verfärbt waren. Die Plastikstühle, die man dort aufgestellt hatte, paßten nicht zusammen und waren voller Haare. Es roch unverkennbar nach Antiseptika und Urin. Einige Leute versuchten sich trotz des Kläffens und Jaulens ihrer vierbeinigen Freunde zu unterhalten. Sie mußten sich beinah anbrüllen.
Die Sprechstundenhilfe war eine blonde junge Frau mit klarer Haut. Sie trug Jeans, Arbeitshemd und Reeboks. Ihre Hände waren blitzsauber, die Nägel kurz geschnitten und nicht lackiert. Sie hielt einen Schäferhundwelpen, den sie mit den Händen fast völlig umfassen konnte. Sie blickte auf, als Decker hereinkam, und starrte wie gebannt auf die Tür, um zu sehen, was für ein Tier wohl hinter ihm hereintrotten würde. Decker ging zu ihr und kraulte den Welpen am Hals. Das Hündchen hob den Kopf und leckte ihn mit seiner kleinen, feuchten Zunge am Finger. Bevor Decker irgend etwas sagen konnte,
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