Decker & Lazarus 05 - Du sollst nicht luegen
war bereits eine Frau mit Hängebacken aufgesprungen, die eine Bulldogge an der Leine führte.
»Entschuldigung, ich war als nächstes dran!«
Decker hob beschwichtigend die Hände. »Ich will mich nicht vordrängen, Ma’am. Ich such bloß das Labor.«
Die Sekretärin verzog ihren Mund zu einem O. »Sind Sie von der Polizei?«
»Ja, Ma’am«, sagte Decker.
»Wegen dem verrücken Pferd?«
Decker nickte.
»Gott, ich hab gehört, wie Dr. Mycroft mit Dr. Baker darüber geredet hat. Sie hat gesagt, es war furchtbar.«
»Schön war’s bestimmt nicht«, sagte Decker.
»Was ist denn passiert?« fragte die Frau mit der Bulldogge.
»Ich würd’s Ihnen ja gern erzählen, Ma’am.« Decker senkte die Stimme ein wenig. »Aber es ist eine offizielle Angelegenheit.«
Die Frau nickte ernst.
»Ist Dr. Mycroft da?« fragte Decker.
»Sie ist oben im Labor«, sagte die Sekretärin. »Sie erwartet Sie. Gehen Sie nach hinten durch und dann die Treppe rauf zum ersten Stock. Wenn die Tür zu ist, klopfen Sie einfach.«
»Danke«, sagte Decker.
Die Sekretärin küßte den schläfrig aussehenden kleinen Schäferhund. »Du liebe Zeit, daß Menschen verrückte Dinge tun, ist ja nichts Neues – zu schnell fahren und gegen einen Felsen rasen.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ein Pferd?«
Eine rauhe Stimme forderte Decker auf einzutreten. Vera Mycroft saß am Mikroskop. Ein schwarzer, von Silberfäden durchzogener Zopf lag über ihrer rechten Schulter. Mit ihren knotigen Händen drehte sie am Okular des Mikroskops. Ihre Brille, Halbgläser, die sie an einer Kette trug, lag auf ihrem Rücken zwischen den beiden Schulterblättern.
Sie sprach, ohne aufzublicken. »Ich hab im Büro schon Bescheid gesagt.«
»Das hier ist Ihr Büro, Vera.«
Sie drehte weiter an dem Okular. »Ah! Da bist du ja, du kleiner Schlingel. Hast wohl geglaubt, du könntest dich vor Mama Vera verstecken. Jetzt frag ich Sie, Pete, wo ein Wurm ist, da sind doch bestimmt noch mehr?« Sie schaute blinzelnd auf. »Das sind doch Sie, Pete?«
Decker lächelte. Veras Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Sie behauptete, aztekisches Blut zu haben, und ihre Gesichtszüge sprachen auch dafür. Doch sie mochte nie erklären, wie sie an ihren schleppenden Südstaatenakzent kam.
»Letztes Mal war ich’s noch.«
Vera wandte ihre Augen wieder dem Mikroskop zu.
»Hier ist Nummer zwei. Und hier? Du liebe Zeit, da haben wir ja ’ne ganze Sippschaft. Wie geht’s euch denn so, meine Kleinen? Wollt wohl Pogos Darm das Leben schwer machen?«
»Reden Sie immer mit Ihren Objektträgern, Vera?«
»Würmer sind auch Tiere.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Sind Sie je dazu gekommen, die Hufe dieser kleinen Stute zu schneiden?«
Decker lächelte. »Wollen Sie mich etwa kontrollieren?«
»Ich erkundige mich nur nach meiner Patientin.« Vera erhob sich, knöpfte ihren Laborkittel auf und fächelte sich etwas Luft zu. »Sie werden das arme Ding zum Krüppel machen, wenn Sie’s nicht tun.«
»Doch, doch, ich hab ihr die Hufe geschnitten. Sie ist ein störrisches kleines Biest. Als sie merkte, daß sie mich nicht treten konnte, hat sie sich auf mich gerollt. Machte sich einfach ganz steif und ließ sich gegen mich fallen. Ich hab fast ’ne Stunde gebraucht, bis ich endlich fertig war, und dabei geschwitzt wie ein Schwein.«
Veras Lachen klang tief. »Sie hätten sie herbringen können, Pete. Da hätten Sie sich einige Arbeit erspart.«
»Machokerle wie ich sind nicht so vernünftig.«
»Man sollte doch meinen, daß Rina Sie auf sanfte Art inzwischen ein bißchen zur Vernunft gebracht hat.«
»Sollte man meinen.« Decker steckte die Hände in die Taschen.
Mit einem Schwung beförderte Vera ihre Brille auf ihre Brust. »Möchten Sie ein bißchen Pfefferminz-Eistee?«
»Sehr gerne, danke.«
»Meine Güte, ist das heiß.« Sie öffnete den Kühlschrank und ließ die Tür mehrmals hin- und herschwingen, um sich etwas Abkühlung zu verschaffen. Dann nahm sie einen Krug mit Eistee heraus, goß ihn in zwei Halbliterbecher und gab Decker einen davon. Sie kippte ihren Becher und schüttete den Tee in sich hinein. Decker konnte sich gut vorstellen, wie sie mit den alten Schluckspechten mithielt. Sie mußte an die Sechzig sein, aber er würde darauf wetten, daß sie eine ganze Fernfahrerkneipe unter den Tisch trinken könnte. Er trank seinen Tee aus, und Vera nahm ihm den Becher aus der Hand.
»Danke, daß Sie’s so schnell für mich gemacht haben«, sagte
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