Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
musterte Decker eindringlich. »Dann sagen Sie mir, Mr. Polizist, was zum Teufel Sie schon von großen Verlusten wissen.«
»Nicht viel.«
»So ist es, nicht viel! Sie sind wie alle verwöhnten Amerikaner, die sich von diesem Präsidenten führen lassen, der sich vor dem Kriegsdienst gedrückt hat. Ihr wißt nichts von Verlusten, weil ihr keine Werte habt. Weil Amerika das Land ist, in dem man alles haben kann und alles wertlos ist. Sogar ein Menschenleben.«
»Für mich nicht«, sagte Decker. »Deshalb bin ich hier.«
»Deshalb sind Sie hier?« Menkovitz bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick. »Sie sind hier, weil Sie jemand dafür bezahlt. Ein kostenloser Urlaub.«
»Ich bin beruflich hier«, widersprach Decker ruhig. »Wegen des Todes Ihrer Tochter.«
»Das sagen Sie«, spukte Menkovitz. »Sie lügen, wenn Sie den Mund aufmachen.«
Decker schwieg.
Menkovitz rieb sich das Gesicht. »Wann schicken Sie mir meine Dalia zurück, damit ich sie in Ehren begraben kann?«
»Ich tue, was ich kann«, sagte Decker.
»Das ist nicht gut genug.«
»Da haben Sie recht.« Decker lehnte sich vor. »Es ist nicht gut genug. Die ganze Sache stinkt, und ich sage es noch einmal, es tut mir sehr leid. Ich weiß, daß das nicht viel bedeutet, aber es ist die Wahrheit. Ich habe selber vier Kinder, und es vergeht kein Tag, an dem ich keine Angst um sie habe.«
Menkovitz war still, dann seufzte er und rieb sich die Augen. »Ich komme nach Palästina, ich kämpfe siebenundvierzig, und ich kämpfe sechsundfünfzig. Siebenundsechzig bin ich zu alt, und sie lassen mich bei der Bürgerwehr Dienst tun – Haggah. Ich bewache die Straßen, während jordanische Soldaten in die Stadt einfallen wie Mabl. Wissen Sie, was Mabl bedeutet?«
»Flut«, nickte Decker.
»Genau. Wie die Flut sind sie über die Stadt hereingebrochen«, sagte Menkovitz.
»Vielen Soldaten«, stimmte Yalom zu. »Wie Mabl.«
»Hattest du Angst, Moshe?« fragte Menkovitz.
»Lo«, entgegnete Yalom knapp. »Nach Treblinka …« Er winkte ab.
Menkovitz sagte: »Ich hatte keine Angst. Ich war ein Kämpfer. Aber jetzt …« Er senkte den Kopf. »Ich bin kein Kämpfer mehr, Mr. Polizist. Ich will nur meine Tochter zurückhaben, damit wir sie in unserem Land beerdigen können. Das ist alles.«
Decker wußte nichts zu erwidern außer Schweigen. Dann sagte er: »Wir sind auf derselben Seite, Mr. Menkovitz. Helfen Sie mir.«
Menkovitz starrte Decker an, dann sagte er: »Möchten Sie Tee? Ich ja. Moshe, rotzeh tech?«
»Betach«, gab Yalom zurück.
Menkovitz gab seine Wünsche über die Gegensprechanlage weiter. Dann wandte er sich Decker zu und sagte: »Was wollen Sie wissen? Dalia war immer ein gutes Kind. Ein wenig verwöhnt. Deshalb mochte sie Amerika. Da ist es kein Verbrechen, verwöhnt zu sein. Hier mögen die Leute das nicht. Sie hat jung geheiratet. Und sie hat einen schlechten Mann geheiratet.«
Yalom fuhr auf und zeigte anklagend mit dem Finger auf Menkovitz. »Sie geheiratet Mann wie Papa.«
Menkovitz erlaubte sich ein kurzes Lächeln. »Ja, Arik war wie ich … zu sehr wie ich. Er war aufbrausend und ein Hondler. Manchmal sogar ein Gonef.«
Decker wußte, daß Gonef Dieb bedeutete. Er zog die Augenbrauen hoch.
Menkovitz sagte: »Sie glauben nicht, daß Arik ein Dieb war? Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen, Mr. Polizist. Sie haben die Bursa heute gesehen. Sie haben all die Leute gesehen. Das sind alles Diebe. Und wenn sie heute keine Diebe sind, werden sie es morgen sein. Arik war ein Dieb von morgen.«
Die beiden alten Männer fingen erneut an, sich zu streiten. Decker vermutete, daß sie das Giftspritzen schon vor dem Tod ihrer Kinder kultiviert hatten. Er wartete, bis sie fertig waren.
Schließlich sagte Menkovitz: »Yalom gefällt es nicht, wenn ich Arik einen Dieb nenne.« Die Auseinandersetzung mit Moshe schien ihn belebt zu haben. »Also stellen Sie Ihre Fragen. Deshalb sind Sie hier.«
»Mr. Menkovitz, worüber haben Sie mit Kate Milligan gesprochen?«
Menkovitz starrte Decker an. Es klopfte an der Tür. Dann wurde sie geöffnet.
Zeit für den Tee. Die Sekretärin kam mit einem übergroßen Tablett herein. Sie stellte es auf Menkovitz’ Schreibtisch, goß Tee ein und reichte dann einen Teller mit Häppchen herum. Menkovitz nahm ein Schnittchen mit Frischkäse und Oliven und stopfte es sich in den Mund. Yalom entschied sich für Eiersalat. Decker ließ die erste Runde aus.
Die Sekretärin lächelte ihrem Chef zu, dann berührte sie die
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