Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
Blicken herüber, andere nahmen ihre Pejess in die Hand, als könnten sie ihre Lust unterdrücken, wenn sie sich an ihren Schläfenlocken festhielten.
Decker entdeckte sie und winkte. Sie drängte sich zwischen schwarzen Mänteln und Tischen hindurch, bis sie bei ihrem Mann war.
»Irgendein Erfolg?«
»Bisher eine Niete. Zumindest habe ich ihn nicht gesehen. Wie viele Jeschiwas wie diese gibt es noch?«
»In Jerusalem gibt es noch zwei weitere«, antwortete Bernstein.
Rina spürte einen Blick im Rücken. Der Rabbi mit der Baßstimme, der gerade Unterricht gab, funkelte sie an. »Vielleicht sollte ich gehen.«
Bernstein nickte heftig.
»Nur noch ein paar Minuten, Rina«, beruhigte Decker sie.
Rina sah sich ein letztes Mal im Raum um und entdeckte dabei den kleinen, ungepflegten alten Mann. »Ich sehe, daß der Meschulech Sie gefunden hat, Moti. Meine Güte, sind diese Leute hartnäckig.«
»Welcher Meschulech ?« fragte Bernstein verblüfft.
»Der kleine alte Mann da, der gerade aus der Tür geht –« Plötzlich schlug sich Rina mit der flachen Hand auf die Brust. »Peter, lauf dem Typ da nach. Er gehört hier nicht her.«
Mit absolut professioneller Reaktion – erst handeln, dann fragen – sprintete Decker los, pflügte durch die Wand aus schwarzer Kleidung und kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der kleine alte Mann das Treppenhaus betrat.
»Heh«, schrie Decker, »heh! Sie!«
Der Mann hüpfte los wie ein Hase und polterte im Eiltempo die Treppen hinunter. In der Tür warf er Decker seinen zusammengeknüllten Mantel ins Gesicht. Fluchend befreite sich Decker und stolperte hinter ihm her, hinaus ins blendend helle Licht der untergehenden Sonne. Decker blinzelte und rannte in der Hoffnung, daß er die richtige Richtung eingeschlagen hatte, weiter. Er betete darum, daß die gleißenden Sonnenstrahlen auch den Schritt dieses Kerls verlangsamt hatten.
Obwohl er nur undeutlich sehen konnte, gelang es ihm, den Eindringling auszumachen, der durch die Straßen flitzte, genau auf den entgegenkommenden Verkehr zu. Den Bruchteil einer Sekunde blieb er reglos stehen – ein Wild im Scheinwerferlicht. Dann stürzte er vorwärts und brachte mehrere Fahrzeuge bremsenquietschend und schlingernd zum Stehen.
Das kurze Zögern war alles, was Decker brauchte. Er kurvte in vollem Tempo über die Straße und verringerte den Abstand zwischen sich und seiner Beute. Der Mann war schneller, aber nicht so groß wie er. Decker nutzte jeden Zentimeter seiner langen Beine, um zu ihm aufzuschließen. Noch ein paar Sekunden, und er wußte, daß er ihn in Reichweite hatte. Mit einem gewaltigen Sprung nach vorne streckte er seine Gorillaarme aus und stieß den Mann mit aller Kraft in den Rücken, so daß er aus dem Rhythmus kam und über seine eigenen Füße stolperte.
Decker lief seitwärts vorbei, als der Mann vornüber fiel, kehrte dann blitzschnell um und hechtete auf ihn drauf, das Knie auf die Beckengegend des Mannes gepreßt. Er war jung und schlug mit fuchtelnden Armen wild um sich. Decker zog sie ihm auf den Rücken.
»Nun mal langsam, Freundchen. Ich will mich nur mit dir unterhalten.«
Der Typ war klein und schmal, der angeklebte Bart rutschte ihm vom Gesicht. Ohne ihn sah er nicht älter aus als fünfundzwanzig. Er sprudelte irgendeine unverständliche Beschimpfung heraus. Decker brauchte ein paar Sekunden, bis er merkte, daß der Mann in Wirklichkeit in einer fremden Sprache redete. Um sie herum versammelten sich die Leute, und alle sprachen gleichzeitig auf ihn ein.
Na, großartig, dachte Decker. Er hatte buchstäblich einen Mann überwältigt, ohne zu wissen, warum, und konnte es auch niemandem ringsum erklären.
Nun sieh mal zu, wie du da wieder rauskommst, Deck.
Im Zweifel immer schweigen. Einfach nur einen möglichst offiziellen Eindruck machen. Er hielt seine Dienstmarke hoch und sagte den Leuten mit tiefer, autoritätsgewohnter Stimme, daß sie zurücktreten sollten.
Niemand rührte sich. Statt dessen begann sich der Kreis um ihn zusammenzuziehen. Die Leute lärmten und wollten höchstwahrscheinlich Erklärungen von ihm. Der Mann brach in ein grauenvolles Geschrei aus. Die Menge rückte näher. Der Schweiß begann Decker übers Gesicht zu laufen. Alles, woran er noch denken konnte, waren Rinas Worte – daß sie sich in einem levantinischen Land befanden. Und das ließ im Moment nur Bilder vom Gesetz der Straße in ihm aufsteigen oder noch schlimmer: von einem levantinischen Gefängnis.
Dann,
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