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Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde

Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde

Titel: Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Karte. Danke.«
    Der Mann sagte: »Ich gehe hinein, mich in der Bejt Midrasch umsehen.«
    Bejt statt Bejss. Sephardische Aussprache. Rina entgegnete, das solle er nur tun. Der Mann schlurfte von dannen.
    Wieder kroch die Zeit. Weitere zehn Minuten. Wieder dachte Rina über Honey Klein nach, über Arik und Dalia Yalom. Zwei abrupt verwaiste Jungen, vier andere Kinder ohne Vater. Ihre Gedanken flogen immer weiter weg, sie versank in einem Wirbel der Trauer. In ihren Augen hatten sich Tränen gebildet.
    Nein, sie würde hier nicht länger alleine warten.
    Sie ging um den Tisch herum, durch die Tür und küßte die Mezuza, als sie in den Flur trat.
    Eine Menge von verschlossenen Türen gedämpfte Geräusche. Die Luft hier war wärmer, aber auch viel abgestandener. Männer mit kehliger Stimme sprachen von den Feinheiten jüdischen Zivilrechts. Rina legte das Ohr an eine Tür, dann öffnete sie sie. Leer – kein Mensch da, aber alles voller Klappstühle, es war nicht mehr Platz als in einer Abstellkammer. Jemand hatte ein Fenster aufgemacht, so daß wenigstens etwas frische Luft hereinkommen konnte.
    Am Ende des Ganges gab es eine Treppe mit winzigen Stufen, die vom vielen Gebrauch völlig glatt gelaufen waren. Rina legte die Hand auf das schmiedeeiserne Geländer und stieg eine Etage hinunter.
    Im Keller lagen eine Gemeinschaftsküche und ein Speisesaal. Die Luft war von einem Geruch nach in Fett brutzelnden Zwiebeln und Knoblauch durchzogen. Der Eßsaal war leer, die Türen verschlossen. Aber durch die Mauern trat Wärme aus und erhitzte die untere Luftschicht um einige Grade. Das war gut, dachte Rina. Die Jungen würden während der Wintermonate in aller Gemütlichkeit essen können.
    Sie stieg wieder zwei Etagen hinauf. In diesem Stockwerk war die Bejss Midrasch der größte Raum. Selbst auf die Entfernung konnte Rina hören, wie die Jungen beim Lernen diskutierten und durcheinanderbrüllten. Die Bejss Haknesset – das Allerheiligste der Jeschiwa – nahm zweifellos den anderen fast gleich großen Teil des Stockwerks ein. Rina ging nicht hinein, für den Fall, daß gerade eine Gebetsversammlung abgehalten wurde. Sie wollte niemanden stören. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, daß nur fünf Minuten vergangen waren. Sie beschloß, die beiden oberen Etagen auszukundschaften.
    Die obersten Stockwerke bestanden aus lauter Schlafsälen voller schmutziger Wäschehaufen und Schweißgeruch. Jeder Stock hatte eine eigene kleine Küche und einen Wirtschaftsraum mit je drei Waschmaschinen und einem Trockner. Sämtliche Maschinen liefen.
    Rina stieg erneut zwei Etagen tiefer und fragte sich, ob sie wohl in die Bejss Midrasch gehen sollte. Vielleicht brauchte Peter ihre Hilfe. Sie wußte natürlich, daß Moti Bernstein alles übersetzen konnte, was Peter wissen wollte, und außerdem waren eine Menge Jungen hier Amerikaner und englischsprachig. Was aber, wenn Bernstein bewußt etwas falsch darstellte? Oder vielleicht gab es irgendeinen Gesprächsfetzen auf hebräisch, der für Peters Fall von Bedeutung sein konnte. Das konnte nur Rina merken.
    Sie ging hinein.
    Der Lärm war ohrenbetäubend. Ihr schlug der Schweiß und die Körperwärme von ungefähr hundert Jungen entgegen. Sämtliche Wände standen voller Bücherregale, die hohen Fenster hatten tagsüber schon Mühe, ein wenig natürliches Licht hereinzulassen. Die eigentliche Helligkeit im Raum rührte von zwei parallel an der Decke verlaufenden Reihen von Neonröhren. Durch einen dichten Nebel aus lauter Schwarz konnte Rina Peter am anderen Ende des Raums sehen. Über seinen karottenroten Haaren schwebte ein zu kleiner, schmalkrempiger Filzhut. Das Hütchen sah aus wie ein Kerzenlöscher, der sich über eine riesige Flamme zu stülpen versucht.
    An der linken Seite des Raumes stand ein großer Konferenztisch, der von einer Gruppe von etwa zwanzig Jungen belegt war. Der Rabbi erteilte ihnen Unterricht und schaffte es mit seiner tiefen Stimme, trotz des Getöses gehört zu werden. Der Rest des Raumes war mit Lesepulten und Schreibtischen vollgestellt. Die meisten der Jungen hatten Paare mit ihren Chavrusas – ihren Lernkameraden – gebildet. Die jungen schrien sich an, völlig in ihre verbalen Streitgespräche versunken. Was wie eine feindselige Auseinandersetzung aussah, war in Wirklichkeit eine gängige Methode, den Talmud zu lernen.
    Rina sah sich in dem Bewußtsein um, daß mehr als nur ein paar der Jungen ihre Anwesenheit bemerkt hatten. Manche starrten mit hungrigen

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