Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
ihr Haar verhüllte. Um ihr Erscheinungsbild zu verändern, brauchte sie nur ihr Perücke abzunehmen, eine enge Jeans anzuziehen und treife zu essen. Niemand würde sie erkennen.
»Sind Sie noch da?« fragte Sturgis.
»Ja, Entschuldigung. Ich dachte nur gerade über das nach, was Sie gesagt haben. Wenn Honey beschlossen hat, die Religion abzulegen, ist es ganz leicht für sie, sich zu verstecken. Aber, und bitte verstehen Sie das jetzt nicht als Wortspiel: Alte Gewohnheiten sterben langsam. Wenn Honey sich entschieden hat, orthodox zu bleiben, dann hat eine religiöse Frau in diesem Land nicht allzu viele Möglichkeiten, sich zu verstecken. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß die Dame schleunigst nach Israel entschwebt ist.«
Sturgis antwortete nicht gleich. »Ja, vielleicht. Könnte sein. Wissen Sie irgendwas über Israel?«
»Ich habe gehört, daß es da in bestimmten Gebieten massenhaft religiöse Leute gibt. Haufenweise Verstecke. Da könnten Honey und ihre Familie problemlos in der Masse untertauchen.«
»Wenn das so ist, wird sie niemand finden.«
»Wir nicht, das stimmt. Aber ein Insider könnte es wahrscheinlich.«
»Haben Sie da jemanden im Auge?«
»Ich habe nur eine internationale Informantin über Israel, Sturgis. Aber die ist absolute Spitzenklasse.«
Marge zog die Augenbrauen hoch und trank einen Schluck lauwarmen Kaffee aus einem Styroporbecher. »Das sieht dem Clown ähnlich, uns hier warten zu lassen.«
»Laß gut sein, Dunn. Es ist noch nicht mal acht.«
Marge grunzte, stellte den Becher auf einen Beistelltisch und sah sich in dem Büro um – nett, aber nicht übertrieben. Firmenschreibtisch, Ledersofa, ein paar Beistelltische aus Chrom und Glas und ein Panoramafenster mit Blick auf den Smog im San Fernando Valley. Die Wandschränke waren voller Aktenordner und Hefter. Einen Augenblick später beehrte sie Chuck, der Clown, mit seiner Gegenwart. Er trug einen konservativ geschnittenen blauen Anzug, ein weißes Hemd und eine handbemalte Krawatte – Tauben und Schwäne in Schreifarben. So sieht das also aus, wenn Banker sich locker geben wollen, dachte Marge. Sie stand auf und streckte die Hand aus. Holmes nahm erst ihre, dann die von Decker.
»Danke, daß Sie sich die Zeit für uns nehmen«, sagte Marge und setzte sich wieder.
»Solange Sie sich kurz fassen.« Holmes setzte sich in seinen schwarzledernen Schreibtischsessel und rieb sich die Stirn. »Die Steuerbehörde sitzt mir mächtig im Nacken. Die sind wütend, weil sie gestern nicht informiert worden sind. Ich hab ihnen gesagt, daß Sie alle nötigen Papiere hatten, aber das schien sie nicht besonders zu besänftigen. Die wollen mir jetzt am Zeug flicken. Ich fühle es geradezu.« Er sah zu Marge und Decker auf. Seine Augen funkelten. »Für wen halten die sich eigentlich?«
Einen Augenblick lang herrschte Stille im Raum. Holmes räusperte sich. »Nun ja … die Yaloms waren von uns sehr geschätzte Kunden. Ich möchte Ihnen gern helfen – soweit es geht.«
Decker machte es sich in seinem Sessel bequem. »Mr. Holmes, Sie wissen sicher, daß man bei einem Mordfall als erstes an Geld als Mordmotiv denkt. Sagen Sie mir alles, was Sie über die Yaloms wissen. Ich will wissen, was sie hatten … worauf es jemand abgesehen haben könnte.«
Holmes Augen wanderten zur Decke. »Die Bank hält eine Hypothek auf das Haus. Wir haben auch einen Kreditbrief über eine Dreiviertelmillion Dollar. Er hat immer pünktlich gezahlt.«
Decker sagte: »Ein gesicherter oder ein ungesicherter Kredit?« Holmes schrumpelte etwas in sich zusammen. »Ungesichert.«
»Also müssen Sie über Mr. Yaloms Vermögen Bescheid wissen«, stellte Marge fest.
»Ich …« Holmes wand sich. »Ich hatte keine Probleme damit, ihm das Geld zu leihen.«
»Haben Sie den Kredit persönlich erteilt?« fragte Marge.
»Ja.«
»Sagen Sie mir, was Sie über Mr. Yaloms Kapitalanlagen wissen.«
Holmes zögerte. »Ich weiß, daß Tote keine Geheimnisse mehr haben, Detective. Besonders wenn sie einem Mord zum Opfer gefallen sind. Aber, wie ich dem Detective schon gesagt habe, der gestern angerufen hat, ich empfinde es immer noch als … illoyal, über Mr. Yaloms geschäftliche Angelegenheiten zu reden, selbst mit jemandem von der Polizei.«
Wie ich dem Detective schon gesagt habe, der gestern angerufen hat? Decker zog seinen Notizblock raus und sah die Seiten durch. Mit wem hatte Holmes gesprochen, verdammt? »Mr. Holmes, erinnern Sie sich, mit wem vom
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