Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
könnten eine Spur hinterlassen, der die Gangster nur zu folgen brauchen.«
Rina schüttelte verwirrt den Kopf.
Schulman sagte: »Ich weiß, was dir auf der Seele liegt, Rina Miriam. Was, wenn sie sich nicht verstecken? Was, wenn sie entführt worden sind? Sollten wir nicht eingreifen, nur um sicherzugehen?«
»Genau.«
»Ich kann dir darauf keine befriedigende Antwort geben. Ich gebe nur die Wünsche des Leibbener Rebbe wieder.«
»Und er möchte, daß wir keine schlafenden Hunde wecken.«
»Anscheinend.«
»Und was denken Sie, Rabbi Schulman?«
Der alte Mann wirkte sehr nachdenklich. »Ich persönlich mache mir Sorgen um die Kinder. Und doch, da war so … etwas in der Stimme des Leibbener Rebbe, das mir sagte, daß die Kinder in Sicherheit sind.«
Rina dachte darüber nach. Die Intuition des Rosch Jeschiwa durfte man nicht so einfach übergehen. »Rabbi, vielleicht sind Honey und die Kinder wieder zurück im Village. Eventuell versteckt der Rebbe sie, bis der Mord an Gershon aufgeklärt ist.«
Schulman zögerte. »Das glaube ich nicht. Und sei es nur, weil die Polizei von Manhattan das ganze Village auf den Kopf gestellt, an jede Tür geklopft und jeden befragt hat. Aber du hast da eine sehr wichtige Frage aufgeworfen. Wenn sie sich verstecken, weil sie um ihr Leben fürchten müssen, und sie konnten nicht nach Hause, wohin würden sie dann gehen?«
»Na ja, sie hat sie hierher gebracht«, grübelte Rina. »Vielleicht war das nicht weit genug weg. Vielleicht hat sie den Sprung gewagt und ist nach Israel.«
»Genau das denke ich auch.«
»Aber was ist, wenn der Rebbe sich irrt, Rabbi Schulman? Was ist, wenn sie darauf warten, daß sie jemand rettet? Ich krieg die Gesichter der Kinder einfach nicht aus dem Kopf.«
Schulman zog ein schmerzliches Gesicht. »Ja, die Kinder kommen zuerst. Da es hier ja nicht um die Halacha geht, bin ich kein Mawen. Also schlage ich vor, wir setzen Akiva von der Situation in Kenntnis und lassen den Experten entscheiden.«
»Scheiße!« Decker rieb sich mit den rauhen Handflächen übers Gesicht. »Ich habe vergessen, Manhattan anzurufen. Mein Gott, jetzt bin ich dreiundvierzig und schon senil.«
»Man nennt das Untersuchung in einem Doppelmord«, beruhigte Rina ihn.
Decker ließ sich aufs Gästebett sinken. Es war nach elf, und der Rest des Hauses lag schon im Schlaf. Er war erschöpft, hungrig und wütend auf sich selbst, weil er nicht in New York angerufen hatte. Die beiden Fälle lagen ihm schwer auf der Seele, weil sie beide mit dem Verschwinden von Kindern verbunden waren. Er fragte sich, ob er überhaupt einem der Fälle gerecht werden konnte, wenn er an beiden gleichzeitig arbeitete. Wahrscheinlich nicht.
Rina kaute auf einem Fingernagel. »Kannst du nicht jetzt in New York anrufen? Polizeireviere haben immer geöffnet.«
»Nicht das Detective-Büro. Sie wollen alle eine goldene Plakette, weil die Stunden so angenehm sind.«
»Vielleicht macht jemand Überstunden, Peter. Vielleicht ist da drüben jemand genauso aufopferungsvoll wie du.«
»Ja, ich, der Supercop.« Er rieb sich die Augen. »Ach, was soll’s? Versuchen kann man’s ja mal.«
Er nahm den Hörer auf und drückte die Nummer. Das Telefon klingelte und klingelte, und schließlich nahm ein Mann namens Romero ab. Decker stellte sich förmlich vor und fragte nach Detective Dintz.
»Dintz ist schon vor Stunden nach Hause. Wissen Sie überhaupt, wie spät es hier ist?«
»Kurz vor zwei Uhr morgens.«
»Der Mann kann rechnen. Nee, außer mir ist hier niemand. Und das liegt daran, daß ich frisch geschieden bin und meinen Kummer in Arbeit ertränke.«
»Funktioniert nicht.«
»Da haben Sie recht. Man wird nur noch saurer auf sie. Was wollen Sie von Dintz?«
Decker informierte Romero.
»Ja, dieser Klein, dieser Diamantenhändler. Ich kenne den Fall.«
»Irgendeine heiße Spur?«
»Bisher noch nichts. Aber bei den Geschäften von Klein ist viel Bargeld über den Tisch gegangen. Außerdem war er Mitglied in dieser komischen Sekte.«
»Mit Sekte meinen Sie den Leibbener Rebbe?«
»Ja, dieser seltsame Ort da oben – Leibbentown. Schon mal da gewesen?«
»Nope.«
»Waren Sie schon mal in Plymouth Rock, wo sich die Führer als Pilgerväter verkleiden und so tun, als wären sie gerade mit der Mayflower angekommen?«
»Hatte noch nicht das Vergnügen«, sagte Decker.
»Ist das gleiche wie in Leibbentown. Die ziehen sich an, als würden sie in einem alten polnischen Dorf wohnen. Nur eben, daß
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