Decker & Lazarus 08 - Doch jeder toetet, was er liebt
weitermachen sollen.
Aber andererseits, wie kann man mit Ansichten umgehen, wenn man nicht mit ihnen umgeht? Professionell zu bleiben war eine sehr, sehr schwere Sache. Decker wurde immer noch von Selbstzweifeln geplagt. Aber Rina hatte Recht. Er hätte nicht gut mit Whitman streiten können. Vielleicht hätte er sich ein bisschen mehr mit Davidson streiten sollen.
Sie gingen den Weg entlang und erklommen die knarzenden Stufen. Decker klopfte an die Haustür. Die Frau, die öffnete, schien in den Vierzigern zu sein. Ihr krauses, von weißen Strähnchen durchzogenes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Gesicht war milchkaffeefarben und voller Krähenfüße um die dunkelbraunen Augen herum. Sie hatte hohe Wangenknochen und dicke, volle Lippen. Die Nägel an den schmalen Händen waren durchsichtig lackiert mit weiß untermalten Rändern. Sie trug einen grauseidenen Hosenanzug und eine ärmellose weiße Bluse; um den Hals hing ein metallenes Kreuz. Die Füße steckten in Sandalen.
»Mrs. Green?«, sagte Decker. »Ich bin Sergeant Decker. Wir haben am Telefon miteinander gesprochen.«
Die Frau musterte ihn mit kühlem Blick. »Ja. Kommen Sie bitte herein.« Sie hielt Decker ihre geschmeidige Hand hin. »Und nennen Sie mich Tony.«
Decker schüttelte ihre weiche Hand. Sie ließ sie wieder in den Falten ihres seidenen Anzugs verschwinden und sah Bontemps an. »Wie geht es Ihnen, Wanda? Es ist schon eine Weile her, seit wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben.«
Bontemps schien unter dem forschenden Blick der Frau zu schrumpfen. »Es geht mir gut, Ma’am. Danke.«
Tony trat zur Seite und ließ die beiden eintreten.
Der Raum war mit Walnussholz getäfelt; durch die Butzenscheiben der Erkerfenster fiel das Licht in runden, staubigen Strahlen. Die gedämpft gemusterten Möbel waren plüschgepolstert und alt – verblichene Stoffe, abgestoßenes Holz. Aber früher war es mal erste Qualität gewesen. Schwer und dauerhaft, kein Riss oder Ziehfaden an den Nähten oder auf einem der Kissen. An den Wänden Schränke und Regale mit Büchern. Die Greens schienen ein Faible für Nippes zu haben. Überall standen Glas- und Porzellangegenstände, nicht nur in den Vitrinen, sondern auch auf Tischen und einem betagten Klavier. Die schwere Tapete war goldgesprenkelt, das Muster stellenweise etwas abgerieben. Nirgends ein Bild oder ein Foto. Wenn es je eine Familie gegeben hatte, war sie inzwischen so entrückt wie die verblassten Vierecke an der Wand.
»Mein Mann hat eben angerufen. Er wird sich ein wenig verspäten. Wir möchten bitte ohne ihn anfangen.« Tony zeigte auf das Sofa. »Setzen Sie sich doch. Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Ich habe gerade einen Krug Eistee gemacht.«
»Vielen Dank«, sagte Decker. »Das hört sich großartig an.«
»Wanda?«, fragte Tony.
»Danke, gern.«
»Dann entschuldigen Sie mich bitte.«
Decker und Bontemps saßen jeder an einem Ende des Sofas. Vor ihnen auf dem Couchtisch stand ein Tablett mit Canapés. Decker flüsterte: »Sind die zum Essen oder nur zur Dekoration?«
»Nein, Sie sollen sie essen. Aber warten Sie, bis sie Ihnen die Platte reicht.«
Decker verzog das Gesicht. »Was sieht vegetarisch aus?«
»Sind Sie Vegetarier, Sir?«, fragte Bontemps.
»Koscher.«
»Oh.« Bontemps starrte die Platte an. »Die hier sehen nach Räucherschinken aus, die nach Truthahn. Das hier könnte Ei mit einer Gurkenscheibe sein. Oder ist Ei nicht erlaubt?«
»Nein, nein, Eier sind in Ordnung. Was ist das da? Brunnenkresse mit Tomate. Das geht auch.«
»Ist das nicht einfacher Salat?«
»Brunnenkresse ist eine Art grüner Salat.«
Bontemps zuckte die Achseln. »Von so was verstehen Sie wahrscheinlich mehr als ich.«
»Ja«, meinte Decker, »typisch afroamerikanisches Essen ist das bestimmt nicht. Ist das hier mir zu Ehren?«
»Wahrscheinlich.«
»War sie natürlicher, als sie mit Ihnen allein war?«
»Natürlicher? Sie meinen, mehr wie eine Schwarze?«
»Ich meinte, weniger affektiert.«
Bontemps dachte einen Augenblick lang nach. »Vielleicht nicht ganz so hochnäsig. Aber eine gewisse Distanz war da immer. Sie ist gebildet, und das lässt sie Sie sofort wissen.«
Bevor Decker fragen konnte, wie sie das meinte, kam Tony mit drei mit Minzeblättchen verzierten Eisteegläsern auf einem Tablett wieder aus der Küche zurück. Sie stellte ihre Fracht auf dem Wohnzimmertisch ab.
»Da wären wir.« Sie verteilte die Gläser und nahm dann die Platte mit den
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