Decker & Lazarus 09 - Totengebet
Tod ihres Vaters hatte sie unerwartet getroffen.«
»Dann hat sich Mr. McFadden also getäuscht? Es gab keinen Streit?«
»Keinen Streit. Es gab einen Disput.«
»Seltsam. Mr. McFadden hat ausdrücklich von Streit gesprochen. Und er meinte, es sei nicht nur Ihr Vater daran beteiligt gewesen. Er hat behauptet, alle hätten auf Ihnen rumgehackt. Und Sie hätten alles geschluckt.«
»Warum ist das wichtig? Versuchen Sie aus einer angeregten Diskussion zwischen mir und meinem Vater, die ein Jahr zurückliegt, ein Mordmotiv zu konstruieren?«
Decker zog die Augenbrauen hoch. Vielleicht. Im Augenblick jedenfalls griff er nach jedem Strohhalm. »Ich stelle lediglich eine Frage, Pater«, sagte er laut.
Sparks atmete hörbar aus. »Ich erinnere mich an diese Diskussion. Wir haben uns über die unterschiedlichen theologischen Auffassungen über sündige Gedanken im Vergleich zu sündigen Taten unterhalten. Wiegt beides gleich schwer? Nicht jedenfalls im juristischen Sinn. Im amerikanischen Recht gibt es einen eindeutigen Unterschied zwischen gedachtem Bösen und bösen Taten. Das steht außer Frage. Aber wir haben in der Familie die Haltung der Kirchen diskutiert. Die Frage war, sind böse Gedanken in den Augen Gottes der bösen Tat gleichzusetzen?«
Bram maß Decker mit seinen Blicken.
»Ich weiß durchaus, was es bedeutet, ein Zuhause zu haben, das religiös geprägt ist«, bemerkte Decker.
»Danke.«
»Fahren Sie fort.«
»Böse Gedanken als moralische Sünde einzustufen, ist eine christliche Vorstellung, und eine sehr katholische dazu. Sündige Gedanken erfordern nach katholischer Glaubenslehre die Beichte, eine Strafe und die Absolution genau wie böse Taten. Und warum? Weil sündige Gedanken, die nicht geahndet, nicht aus unserem Bewusstsein ausgemerzt werden, gut und gern zur tätigen Sünde führen können.«
»Richtig.«
»Es gibt da zwei Gedankenschulen. Einmal können böse Gedanken derart ausufern, dass sich das Individuum praktisch gezwungen sieht, entsprechend zu handeln. Oder – und das ist meine Philosophie, auch wenn sie nicht besonders originell erscheint – böse Gedanken sind eine Art Ventil, das den Überdruck regelt. Ich schätze, das ist bei circa neunzig Prozent der Menschen der Fall. Sie sind also eine Möglichkeit, unsere Frustration, Gier oder Wut abzureagieren. Ergo stellt sich die Frage, ob im Fall von sündigen Gedanken oder unmoralischen Fantasien Strafe und Buße wirklich angebracht sind? Gehen wir einen Schritt weiter. Erweisen die Repräsentanten der Religionsgemeinschaften – also Leute wie ich zum Beispiel – ihren Gemeinden vielleicht sogar einen schlechten Dienst, wenn sie diese verpflichten, solche Gedanken zu unterdrücken und sich damit selbst einen Fluchtweg aus der inneren Anspannung zu verbauen? Ich habe die Vermutung geäußert, derart engstirnige Repressalien seien sogar geeignet, Schaden anzurichten. Diese Ansicht hat bei meiner Familie – und besonders bei meinem Vater – heftige Proteste ausgelöst. Mein Vater vertrat die Meinung, ein reines, sauberes Gewissen sei unerlässlich für eine reine Seele. Und meine Mutter hat dem von ganzem Herzen zugestimmt.«
»Und was haben Sie entgegnet?«
»Gar nichts. Ich habe einen Rückzieher gemacht. Und damit war die Sache beendet.«
Decker schnalzte mit der Zunge. »Warum haben Sie einen Rückzieher gemacht?«
»Mein Gott, Sie wollen es aber ganz genau wissen.«
»Ich bin Kriminalpolizist. Es ist mein [ob, Dingen auf den Grund zu gehen. Dürfte in Ihrer Profession ganz ähnlich sein, Pater.«
»Schon. Nur weshalb sollten wir das ausgerechnet jetzt erörtern?« Sparks schlug kurz die Augen nieder. »Ich habe mit meinem Vater nicht diskutiert, weil wir auf diesem Gebiet keine gleichwertigen Gesprächspartner waren. So religiös und gebildet er auch war, er hat im Gegensatz zu mir kein Theologiestudium absolviert. Ich kann jederzeit Karnickel aus dem Hut zaubern. Er nicht. Und was meine Geschwister betrifft … Großer Gott, bin ich müde!«
Decker wartete.
»Bei meinen Geschwistern habe ich einen Rückzieher gemacht, weil ich mich vor meinen Eltern nicht in den Vordergrund spielen wollte. Religion ist mein Beruf, meine Berufung. Erwidere ich ihnen mit einer brillanten Analyse des Problems, sehen Sie in mir nicht Bram, den Priester. Im Gegenteil, sie sehen in mir Bram, der Punkte bei den Eltern sammeln will. Und auf dieses Spiel lasse ich mich nicht ein.«
»Sie sind doch alle erwachsen.«
»Richtig. Es ist
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