Decker & Lazarus 09 - Totengebet
»Pfarramt« stand.
Sparks öffnete die Tür.
»Willkommen in meinem Chaos.« Er bekreuzigte sich hastig. »Passen Sie auf, wo Sie hintreten. Ich habe auch Sachen auf dem Fußboden liegen.«
Chaos war eine Untertreibung. Sparks’ ganzes Büro war mit allem Möglichen voll gestopft. Mit all den Akten, Unterlagen und Büchern hätte man einen tropischen Regenwald wieder aufforsten können. Berge von Notizen auf dem Schreibtisch, den Schreibtischen. Denn es gab drei davon. Wände mit überquellenden Bücherregalen. Decker sah sich um. Die Titel schienen zumindest oberflächlich einigermaßen systematisch geordnet. Abhandlungen in Altgriechisch standen in einem Regal, Bände in Russisch oder einer anderen ihm unbekannten Sprache mit kyrillischer Schrift in einem anderen. Die englischen und lateinischen Wälzer machten den größten Teil der Sammlung aus, bedeckten die gesamte Rückwand des Raumes.
Aber Deckers Aufmerksamkeit richtete sich auf die hebräischen und aramäischen Texte, vor allem die hebräische Bibel, die Chumisch, und einen kompletten Talmud. Die Titel belegten zwei Regalreihen.
Die heiligen Bücher seines neu erworbenen Glaubens.
Es gab noch andere hebräische Werke, doch Decker konnte die Titel nicht lesen. Einen Moment wünschte er, Rina wäre hier. Dann verdrängte er den Gedanken hastig. Rina würde sich in dieser Bibliothek kaum wohl fühlen. Orthodoxe Juden empfanden es meist als beunruhigend, wenn Andersgläubige ihre Seferim, ihre heiligen Bücher, zerpflückten. Und doch fand sich hier eine Unmenge von Büchern, die Rina liebte, weil sie Gottes Namen enthielten, wenn sie auch in den Regalen eines katholischen Priesters in einem Raum standen, an dessen Wand ein überdimensionales Kreuz mit dem gekreuzigten Jesus hing.
Gegen Müdigkeit und Erschöpfung ankämpfend, versuchte Decker, sich wieder auf den wahren Grund seines Kommens zu konzentrieren. Ein Mann war brutal ermordet worden. Er hatte einen Job zu erledigen.
Neben dem Kruzifix an der Wand hingen mehrere gerahmte Fotografien. Die erste war ein Schnappschuss, zeigte Bram in der Soutane an einem Tisch sitzend, den Kopf über einem dicken Buch in die Hand gestützt. Die anderen beiden waren gestellte Aufnahmen. Bram zusammen mit alten Männern im kirchlichen Ornat. Auf dem letzten Bild erkannte Decker alle Beteiligten. Bram mit dem Papst.
»Rom und ich kommen gut miteinander zurecht«, bemerkte Bram.
»Ist nicht zu übersehen.«
Der Priester nahm einen Stapel Akten von einem Stuhl und legte sie auf den Fußboden. »Bitte. Setzen Sie sich.«
Decker nahm Platz. »Ich wollte durch den Vordereingang kommen. Eine Schande, dass Kirchen heutzutage ihre Türen verschlossen halten müssen.«
Sparks setzte sich hinter einen seiner drei Schreibtische und stöpselte Telefon und Anrufbeantworter aus. »Sobald jemand wirksam gegen den Vandalismus vorgegangen ist, schließe ich unsere Türen wieder auf.«
»Faire Geste.« Decker zückte sein Notizbuch. »Die Pfarrei … Wohnen Sie auch hier?«
»Ja.«
»Sie leben also in der Kirche?«
»Grundsätzlich ja. Ich bin seit sieben Jahren der Priester dieser Kirche. Aber ich habe stets ein Einzimmerapartment abseits des Kirchensprengels behalten. Da ich in einer großen Familie aufgewachsen bin, habe ich gelegentlich das starke Bedürfnis, allein zu sein.«
»Wer ist dieser Jim?«
»Sie meinen den jungen Mann, der Ihnen geöffnet hat?«
»Ja.«
»Einer meiner Schüler aus dem Priesterseminar. Er macht sein Praktikum hier. Gegenwärtig sind sie zu zweit. Sie arbeiten in der Gemeindeseelsorge. Sie kommen von St. lohn in Camarillo. Dort befindet sich das Priesterseminar von Los Angeles.«
»Sind Sie der einzige Priester dieser Kirche?«
»Der Einzige, der hier lebt. Wenn ich nicht in der Stadt bin schicken sie von Loyola/Marymount Kollegen her, die für meine Gemeinde die Messe lesen.«
»Unterrichten Sie auch?«
»Laufend. Ich habe sechs verschiedene Klassen, Bibelunterricht, Seminare über grundsätzliche Glaubensfragen und so weiter …« Sparks sah Decker an. »Aber ich vermute, all das ist nicht der Grund Ihres Kommens.«
Decker lächelte. »Vielleicht ein andermal.«
»Jederzeit.«
»Unterrichten Sie auch an der Universität?«
»Gelegentlich. Aber die Arbeit als Universitätslehrer ist sehr zeitaufwändig. Ich habe eine Gemeinde zu betreuen.«
Deckers Blick schweifte durch den Raum, der mehr einer Bibliothek als einem Büro glich. »Sie scheinen mir eher der Typ des Akademikers zu
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