Decker & Lazarus 09 - Totengebet
nichts für dich tun?«, bat Rina.
»Morgen findet ein Gedenkgottesdienst in Dads Kirche statt. Kein Begräbnis … der Leichnam ist noch in der Gerichtsmedizin. Aber es ist wenigstens ein Gedenken an ihn.
Um drei Uhr nachmittags. Wenn du kommen könntest … Das wäre schön.«
»Natürlich. Ich werde dort sein.«
»Es wird sicher einen fürchterlichen Menschenauflauf geben, Rina. Mein Vater war ein berühmter Mann mit vielen Bewunderern. Wenn du allein kommst, verpassen wir uns sicher. Ich hole dich lieber ab.«
»Bram …«
»Wir treffen uns vor der Talmud-Hochschule morgen um zwei. Vormittags will ich sowieso zu Rabbi Schulman.«
»Hat er dich angerufen?« Rina überlegte. »Natürlich hat er dich angerufen.«
»Fünf Minuten, nachdem die Meldung in den Nachrichten kam. Er wollte eigentlich auch zum Gedenkgottesdienst kommen. Aber offenbar fühlt er sich nicht gut. Was ist mit ihm?«
»Er hatte vor ungefähr einem Jahr einen kleinen Infarkt«, antwortete Rina. »Geistig ist er so aktiv wie eh und je. Aber das Gehen fällt ihm schwer.«
»Das tut mir Leid. Ist lange her, seit ich ihn besucht habe. Jedenfalls fahre ich zu ihm. Ich bin morgen dran, die Trauerrede zu halten. Außerdem habe ich einige Verse in den Tehillim gefunden, die sehr gut auf meinen Vater passen.«
Rina fiel auf, dass Bram den hebräischen Ausdruck Tehillim für Psalme benutzte.
»Ich möchte die entsprechenden Stellen mit Rabbi Schulman durchsprechen«, fuhr Bram fort. »Ich bin sicher, dass er mir einige neue Einsichten verschaffen kann. Der Mann ist ein Hort der Weisheit.«
Rina murmelte Zustimmendes, während ihre Gedanken um die Tehillim kreisten. Tehillim. Gebete, die Lobpreisungen Gottes. Wie oft hatte sie sie gesprochen, während ihr erster Mann Yitzy im Sterben gelegen hatte. Es waren Gebete für die Sterbenden, Gebete für die Toten gewesen.
»Zwei Uhr vor der Talmud-Hochschule. Ich werde dort sein«, versprach Rina.
Bram zögerte. »Hast du es deinem Mann gesagt? Dass du mich kennst? Durch Yitzy?«
»Ich habe seit dem ersten Telefonanruf wegen deines Vaters nicht mehr mit ihm gesprochen. Er ist schon die ganze Nacht unterwegs. Außerdem ist es gar nicht wichtig, oder?«
»Nein, es ist nicht wichtig. Wäre trotzdem eine gute Idee. Ich meine, ihm zu sagen, dass wir … dass wir uns kennen. Er leitet die Ermittlungen im Mord an meinem Vater. Es ist besser, alles auf den Tisch zu legen. Wenn er durch einen Dritten erfährt, dass wir uns kennen – durch Rabbi Schulman zum Beispiel –, könnte er verärgert sein.«
»Ich sag’s ihm morgen, nach dem Gedenkgottesdienst«, versprach Rina.
»Rina, er wird beim Gedenkgottesdienst vermutlich ebenfalls anwesend sein.«
»Wenn dem so ist, dann überlass alles Weitere mir, Bram. Ich werde doch wohl noch mit meinem eigenen Mann fertig werden.«
»Ich sage lieber nichts mehr.«
Rina biss sich auf die Unterlippe. »Ich bin eine Idiotin, dich so anzufahren …«
»Spielt keine Rolle …«
»Bram, immer wenn ich Yitzy erwähne, wirkt er gereizt.«
»Ich kann seine Gefühle verstehen.«
»Ich verstehe sie ja auch. Deshalb will ich nichts überstürzen. Aber du hast Recht. Ich sag’s ihm gleich morgen früh. Er sollte wissen, dass wir Freunde sind. Schon vom beruflichen Standpunkt aus. Ich möchte nicht, dass etwas verborgen bleibt, was die Ermittlungen beeinträchtigen könnte.« Sie seufzte. »Auch wenn es bedeutet, alte Wunden wieder aufzureißen.«
»Rina, wenn es zu schmerzlich für dich ist, kann ich so tun, als hätte dieser Anruf nie stattgefunden.«
»Auf keinen Fall, Abram. Davon will ich nichts hören.« Sie räusperte sich. »Wir sehen uns morgen um zwei.«
»Danke, dass du angerufen hast, Rina. Es bedeutet mir alles.«
»Du hast gewusst, dass ich anrufen würde, Abram«, sagte Rina nach kurzem Zögern.
»Ja, Rina«, antwortete er. »Diesmal wusste ich, dass du anrufen würdest.«
Trauer erfasste Rina. Sie schwieg.
»Großer Gott, das war dumm von mir!«, stöhnte Bram.
»Ich habe den Vorwurf verdient, Abram. Ich habe einen Fehler gemacht.«
»Ich auch.«
»Da sehen wir es wieder mal«, erwiderte Rina besänftigend. »Aus zwei Fehlern wird doch manchmal das Richtige.«
10
Die Kardiologische Abteilung des New Chris nahm den gesamten dritten Stock des Klinikgebäudes ein, insgesamt sechs Stationen mit einer eigenen zentralen Schwesternstation, umgeben von einem Dutzend privater Suiten. Die Zimmer, die strahlenförmig von der Schwesternstation wie die
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