Decker & Lazarus 09 - Totengebet
ein Genie.« Der Priester legte den vierten Gang ein. »Ich wünschte, er hätte meinen Vater gut genug gekannt, um die Totenrede zu halten. Ich wünschte, er könnte für mich sprechen.«
»Ich bin sicher, dein Vater hätte genau dich gewollt.«
»Trotz all meiner Unzulänglichkeiten.« Brams Stimme klang bitter. »Vermutlich hast du Recht. Wenigstens kommt es von Herzen. Wie geht es dir, Rina?«
»Bestens. Ich habe vor drei Jahren noch ein Baby bekommen, eine Tochter.«
Brams Freude wirkte echt. »Das ist wunderbar! Jetzt hast du dein kleines Mädchen! Und was für ein Glück die Kleine hat, dich als Mutter zu haben. Ich hoffe, sie sieht dir ähnlich.« Er lachte leise. »Womit ich deinem Mann nicht zu nahe treten möchte.«
»Tust du nicht. Und du? Ist es dir gut ergangen?«
»Ich hab mich so durchgeboxt. Kann es selbst kaum fassen, dass ich es als Gemeindepriester so lange ausgehalten habe. Aber es ist eine gute Kirche. Wir sind unglaublich gewachsen. Im Moment besteht die Gemeinde aus fünfhundert Familien.«
»Große Gemeinde.«
»Sehr. Im Augenblick ist Kirche ›in‹.«
»Das liegt sicher auch an dir.«
»Nicht sehr. Wir sind praktisch die einzige katholische Gemeinde der Stadt.« Bram bog auf den Foothill Boulevard ein und fuhr weiter in Richtung Freeway. »Ich kenne mehrere Kollegen von Loyola, war mit ihnen auf dem Priesterseminar. Die bringen während meiner Abwesenheit immer wieder Zucht und Ordnung rein.«
»Dann reist du noch immer nach Rom?«
»Ja. Der Pontifex Maximus und ich … wir verstehen uns.«
»Das ist vermutlich eine Untertreibung. Scheu dich nicht, bei mir Eindruck zu schinden.«
Bram lächelte. »Der Vatikan braucht Mitarbeiter, die die alten Sprachen beherrschen. Ist für die einundzwanzigste Kirchensynode.«
»Was machst du da?«
»Ich stelle vergleichende Studien alter Aufzeichnungen an. Außerdem versuche ich einige vor kurzem entdeckte Texte zu datieren. Die meisten sind in Aramäisch, Hebräisch oder Latein geschrieben. Einige auch in Griechisch und Phönizisch.«
Er hielt inne.
»Ich glaube einige sogar auch in ugaritischer Sprache.«
»In was bitte?«
»Ugaritisch. Ein kanaanäischer Zweig des Hebräischen. Im Gegensatz zum Ugrischen, das mit dem Ungarischen verwandt ist. Aber darüber weißt du vermutlich besser Bescheid als ich. Jedenfalls kann ich auf Grund der Syntax und der umgangssprachlichen Begriffe zumindest das Jahrhundert der Schriften bestimmen. Anschließend analysiere ich den Inhalt und bestimme, inwiefern sie zu den vorgesehenen Themen passen. Ist das Ergebnis positiv, entscheide ich, wie der Heilige Stuhl sie zu seinem Vorteil verwenden kann.«
»Sehr interessant.«
»Klingt sehr esoterisch, was?«
»Erinnert mich alles sehr an Yitzy. Kein Wunder, dass ihr beide euch so gut verstanden habt. Ihr hattet als Intellektuelle dieselbe Wellenlänge. Habt uns gewöhnliche Sterbliche beschämt auf der Strecke gelassen.«
»Niemals, Rina. Wann immer du während unserer langatmigen Debatte zu uns gestoßen bist, hast du dich meiner Erinnerung nach mehr als passabel geschlagen. Das heißt, so wir Machos dich überhaupt haben zu Wort kommen lassen.«
»Pater, der Tacho zeigt auf über hundert. Könntest du vielleicht etwas langsamer fahren?«
Der Priester trat ernüchtert auf die Bremse.
»Yitzy war ein großartiger Lehrer, Rina. Für mich ein besserer als Rabbi Schulman, denn bei ihm musste ich nie Hemmungen haben. Ich konnte Fehler machen, ohne mir wie ein Idiot vorzukommen. Und ich habe Fehler gemacht. Ich hatte ein Diplom in Altphilologie und das erste Examen in biblischen Sprachen hinter mir und konnte doch einem Jungen aus der Talmud-Hochschule das Wasser nicht reichen.«
»Es ist ein großer Vorteil, wenn man eine Sprache im Kindesalter lernt.«
»Das habe ich auch erkennen müssen. Ich war nur ein Jahr älter als Yitzy. Wie fließend er hebräische Texte lesen konnte, war erstaunlich. Ich bin damals sehr schnell bescheiden geworden. Es war eine Freude, mit ihm zu lernen.«
»Weißt du, Bram, ich habe mich immer gefragt, warum du ausgerechnet in den Gemeindedienst gegangen bist. Warum du nicht an der Universität lehren wolltest. Ich hatte dich mir immer als Professor in Notre Dame oder einer anderen Institution vorgestellt. Du bist der geborene Universitätslehrer.«
Der Priester blieb stumm. Schließlich sagte er: »Ich glaube, Yitzys Tod hat das intellektuelle Feuer in mir ausgelöscht. Danach wollte ich nur noch Gutes tun und ein echter
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