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Decker & Lazarus 09 - Totengebet

Decker & Lazarus 09 - Totengebet

Titel: Decker & Lazarus 09 - Totengebet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben? Wo ist die Zeit geblieben? Du bist keinen Tag älter geworden.«
    »Sag mir, was ich für dich tun kann.«
    »Gar nichts, leider.« Bram ging um den Wagen herum und öffnete die Tür zum Beifahrersitz. »Überhaupt nichts.«
    Rina unterdrückte Tränen. »Es tut weh, dich so unglücklich zu sehen.«
    Sein Blick schweifte über sie hinweg. »Besser ich als du.«
    Rina wusste, das seine Worte von Herzen kamen. Und das machte alles noch schlimmer. Sie sehnte sich danach, ihn zu umarmen, ihn zu trösten, so wie er sie getröstet hatte. Dann verdrängte sie hastig den Gedanken. Es schickte sich für beide nicht. Stattdessen nahm sie seine Hand, die schmalen, weichen Finger ohne Schwielen. Die Hand eines Gelehrten. Sie drückte sie sanft. Ohne Vorwarnung riss er sie an sich, umarmte sie heftig und verbarg sein Gesicht an ihrer Mütze. Er versuchte seine Tränen zurückzuhalten, aber sie fühlte dennoch warme Tropfen über ihren Nacken rinnen. Er umarmte sie wie ein Ertrinkender einen Rettungsring.
    Dann ließ er sie hastig los und ging zur Fahrerseite des Wagens. »Mein Gott, ich lasse mich gehen!«
    »Sei nicht so hart mit dir!«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Rina schwieg. Sein Gesicht war gerötet. Er war verlegen. Die Autotür stand auf. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und schob die Hände in die weichen Falten ihres Wollkleids. Auf dem Rücksitz lagen stapelweise Bücher aus der Universitätsbibliothek in exotischen Sprachen. Darunter auch, ganz zuunterst, ein großer Talmud-Band. Es war das Traktat Sanhedrin, Erster Band, das die Regeln des Obersten Gerichtshofs behandelte. Automatisch griff Rina nach dem Buch und legte es obenauf. Heilige Werke durften nie unter weltlichen Büchern begraben sein.
    Bram trocknete seine Augen und setzte sich hinters Steuer.
    »Entschuldige, ich habe vergessen, mit wem ich es zu tun habe, wen ich da vor mir habe.«
    Rina errötete. »Die Macht der Gewohnheit.«
    »Schon in Ordnung. Alles, was du tust, ist gut. Ich weiß nicht, weshalb ich es überhaupt erwähnt habe.« Seine Finger trommelten auf das Lenkrad. »Ich fange an zu schwafeln, was?«
    »Es klingt alles völlig logisch.«
    »Du bist wirklich lieb.«
    »Du arbeitest mit dem Steinsaltz?«
    »Apropos Purismus …« Er rollte die Augen. »Was für ein Heißsporn ich damals gewesen bin.«
    »Begeisterungsfähig, möchte ich sagen.«
    »Du meinst aufsässig. Und das stimmt. Ja, ich benutze den Steinsaltz. Abgesehen davon, dass er eine bemerkenswert klare Denkweise hat, glaubt er offenbar an lesbar Gedrucktes mit korrekter Interpunktion. Meine Augen sind auch nicht mehr die besten.«
    Rina musterte ihn aufmerksam. »Hast du überhaupt geschlafen, Abram?«
    »Doch, habe ich.« Er zog ein Kruzifix aus seinem Hemd und küsste es. »Ich habe heute Morgen zwischen der Sechs-Uhr- und der Zwölf-Uhr-Messe ein paar Stunden geschlafen. Mit mir ist alles in Ordnung.«
    Damit ließ er den Motor an und legte den ersten Gang ein. Er trat aufs Gaspedal, während er die kurvenreiche Bergstraße fuhr. Bram war immer ein forscher Autofahrer gewesen. Gelegentlich schien der Toyota die Bodenhaftung zu verlieren. Rina umklammerte die Armstütze in der Beifahrertür und hoffte, dass alles gut ging.
    Sie warf Bram einen kurzen Seitenblick zu. Er trug den üblichen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Priesterkragen. Seine Nägel waren bis zum Ansatz abgebissen. Sie sah weg, starrte aus dem Fenster.
    »Wie rücksichtsvoll von dir«, bemerkte sie unvermittelt, »dass du dein Kreuz unter dem Hemd getragen hast, während du bei Rabbi Schulman warst. Und dass du ausgerechnet in dieser Lage an ihn gedacht hast …«
    »Ich bin vielleicht erwachsen geworden.« Er wirkte nachdenklich. »Keine Ahnung, weshalb Rabbi Schulman mich damals ertragen hat. Ich bin ein freches Kind gewesen. Anmaßend, dreist, streitsüchtig, ungehobelt, aufsässig … ein unangenehmer Zeitgenosse.«
    »Du richtest in deiner Trauer den Blick nach innen«, stellte Rina fest. »Tu’s nicht. Es hilft nicht.«
    Bram schwieg. Dann sagte er: »Danke, dass du gestern Nacht angerufen hast.«
    »Das war doch selbstverständlich. Nach allem, was du für mich getan …« Rinas Augen schwammen in Tränen. Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Entschuldige.«
    Bram steckte ihr ein Päckchen Papiertaschentücher zu. Rina trocknete die Tränen und versuchte sich zu fassen. »Hat dir das Gespräch mit Rabbi Schulman geholfen?«
    »Wie immer. Der Mann ist

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