Decker & Lazarus 10 - Der Schlange List
überprüfen können.«
»Warum nicht?« fragte Martinez. »Ich kann doch ein paar Tage an Joachim dranbleiben.«
»Ich hätte nichts dagegen. Nur bin ich nicht mehr zuständig.« Decker spürte ein Würgen im Hals. »Das mußt du mit Strapp ausmachen.«
Oliver runzelte die Stirn. »Du weißt doch, was er sagen wird, Loo.«
»Laß mich wenigstens morgen noch dranbleiben«, bat Martinez.
»Ich bin nicht befugt, dir grünes Licht zu geben, Bert. Rede mit Strapp.«
»Der wird abwinken«, seufzte Webster.
»Wahrscheinlich.«
»Das heißt, unsere ganze Arbeit – auch deine, Loo – war für die Katz. Das weißt du.«
»Klar weiß ich das«, bestätigte Decker.
»Macht dich das nicht fertig?« fragte Marge.
»Und ob.«
»Was wirst du also tun?«
»Im Moment sitze ich hier und mache ein nettes Gesicht. Aber in Zukunft …« Decker zuckte die Schultern. »Ich hab gehört, in Montana soll es schön sein um diese Jahreszeit.«
»Wenn du nichts gegen Privatarmeen und Nazis hast«, wandte Marge ein.
»Margie, ich bin seit fünfundzwanzig Jahren Polizist. An bewaffnete Idioten hab ich mich langsam gewöhnt.«
Strapp hatte die Last von ihm genommen, die permanent drückende Last der Verantwortung für die Opfer des Estelle … Decker war gegen sieben mit dem Papierkram fertig. Er dachte über seine Arbeit, über sein Leben nach. Was war aus all den Träumen geworden, all den Urlaubsphantasien? Hand in Hand mit Rina, barfuß an menschenleeren Stränden, die Füße umspült von den Wellen? Oder durch unberührte Berglandschaften wandern, die Lungen voll würziger Luft? Wie hatte er zulassen können, daß er hier in diesem Sumpf versank? Die Auseinandersetzung mit Strapp hatte seinen lang gestauten Unmut entladen. Er mußte sich nur offen eingestehen, daß irgendwann Schluß war.
Und das war vielleicht gar nicht schlecht.
Die Gewißheit, es gab ein Leben nach dem LAPD.
Ein Klopfen an der Tür riß ihn aus seinen Träumereien. Marge rief herein. »Eine Frau namens Tess Wetzel ist hier. Sie möchte mit dir sprechen.«
»Worum geht’s?«
»Will sie nicht sagen.«
Decker zögerte. Der Name kam ihm bekannt vor. »Tess Wetzel?«
»Ja. Mehr hat sie nicht gesagt.« Marge sah auf die Uhr. »Ist schon ziemlich spät. Soll ich sagen, daß du schon weg bist?«
»Nein, laß sie rein.«
»Okay, du bist der Boß.«
Decker lachte. »Genau.«
Gleich darauf kam eine schlicht gekleidete Frau um die Dreißig hereingehumpelt. Sie ging an Krücken, und man sah, daß sie Schmerzen hatte. Sie wirkte müde, eher rundlich, hatte aber ihre Figur noch nicht verloren. Weite Jeans, ein locker gestrickter Pullover, kein Make-up, kein Schmuck. Eine schlichte Erscheinung, doch irgend etwas an ihr strahlte Kraft aus. Decker stand auf und schob ihr den Stuhl zurecht.
Ächzend nahm sie Platz. Ihre Stimme war freundlich. »Vielen Dank, daß Sie Zeit für mich haben.«
»Keine Ursache.« Decker setzte sich ihr gegenüber und streckte die Hand aus. »Sie sind Mrs. Wetzel, nicht wahr?«
»Nennen Sie mich Tess.« Sie drückte ihm kurz die Hand. Ihre Augen wurden feucht. »Sie erinnern sich nicht, oder?«
Decker studierte ihr Gesicht. Dieser Ausdruck von Schmerzen, der eiserne Wille … Er blinzelte, dann sagte er: »Die ganze Nacht verschwimmt mir im Gedächtnis, aber an Sie kann ich mich deutlich erinnern. Obwohl ich nicht mal weiß, ob wir uns richtig miteinander bekannt gemacht haben.« Er streckte erneut die Hand aus. »Lieutenant Peter Decker. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Sie lächelte, dann schlug sie die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. »Es tut mir leid.«
Decker beugte sich vor, wollte ihr die Hand auf die Schulter legen. Der Gedanke an Jeanines Klage wegen sexueller Belästigung durchzuckte ihn. Ach, Blödsinn! Er strich ihr sanft über den Arm. Bot ihr ein Taschentuch an. Sie nahm es und trocknete sich die Augen.
»Schön, daß Sie wieder auf den Beinen sind«, sagte er.
»Na ja, eher schlecht als recht.«
»Kann ich Ihnen was anbieten, Tess?«
»Nein, danke.« Sie schneuzte sich. »Ich wollte mich nur bedanken.«
»Das freut mich, aber ich hab nur meine Arbeit getan.«
»Ich wußte gar nicht, daß Polizisten lernen, wie man Beine schient.«
»Bei der Armee hatte ich eine Sanitäterausbildung. Ich habe selbst gestaunt, was ich noch wußte.«
»Sie hätten Arzt werden sollen«, sagte sie. »Sie können großartig mit Kranken umgehen.«
Decker lächelte. »Danke. Wie kommen Sie zurecht?«
Tess Wetzel
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