Decker & Lazarus 10 - Der Schlange List
Telefon an. Mit gequälter Miene tippte er die Nummer ein und zuckte bei jedem Klingeln zusammen. Als er die Stimme seiner Tochter hörte, atmete er auf. Sie war kühl zu ihm, wie erwartet. Aber es war ihm egal. Hauptsache, er mußte nicht mit Jan sprechen.
»Ich rufe nur zurück, weil deine Mutter … «
»Sie ist nicht zu Hause.«
»Sag ihr, daß ich angerufen habe. Sag ihr, ich stecke bis zum Hals in Arbeit und melde mich morgen wieder. Dann muß sie nicht immer hier auf dem Revier anrufen.«
»Wie oft hat sie es denn versucht?«
»Fünfmal.«
»Ich rede mit ihr.«
»Bitte nicht, Cynthia. Du sollst dir nicht noch mehr Kummer aufbürden.«
Sie schwieg. Dann: »Ich war schließlich der Auslöser.«
»Ich weiß deine Hilfe zu schätzen, aber bitte bleib neutral, sonst wird alles noch komplizierter. Bist du mir noch böse?«
»Ich hab dich sehr lieb, Dad.«
Sie war noch abweisend, aber schon am Auftauen.
»Cindy«, sagte er, »ich möchte mich entschuldigen. Du hast dich sehr gut benommen gestern Abend. Ich nicht.«
»Du warst wütend.«
»Ja.«
»Und verletzt, weil ich nicht vorher mit dir gesprochen habe.«
»Ein bißchen.«
»Frustriert?«
»Allerdings. Ich habe meine Meinung nicht geändert. Deine Entscheidung finde ich immer noch falsch. Aber du bist vierundzwanzig. Wenn ich dich schon nicht umstimmen kann, sollten wir wenigstens nächste Woche essen gehen. Vielleicht hast du ja Verwendung für ein paar Tips von einem alten Hasen. Wann soll es losgehen?«
»Gleich nach Neujahr.«
»Schade, daß die Baseballsaison vorbei ist«, sagte Decker. »Du bist einen Steinwurf vom Vorverkaufsbüro der Dogders entfernt.«
Cindy lachte. »Daddy, ich habe eine Bitte.«
»Schieß los.«
»Ich höre dir sehr gern zu. Ich achte dich nicht nur als Vater, sondern auch als Polizisten. Aber bitte, misch dich nicht in meine Ausbildung ein. Ruf nicht in der Akademie an. Sprich nicht mit meinen Lehrern und erkundige dich nicht nach mir. Ich hab wirklich überlegt, ob ich nicht Moms Mädchennamen annehme. Es soll nicht jeder wissen, daß du mein Vater bist. Ich hab schon so genug Probleme. Alle messen mich an dir … «
»Wow, das klingt ja ernst.«
»Du willst mir helfen, das ist in Ordnung. Solange du meinen Wunsch respektierst. So ist es für uns beide am besten.«
Decker seufzte schwer. »Ich tue, was ich kann, Cynthia.«
Beide verstummten. Aber trotz aller Probleme war er froh, daß er Cindy und nicht Jan am Apparat hatte.
»Haben wir das jetzt abgehakt?« fragte sie.
»Abgehakt würde ich nicht sagen. Ich habe nur aufgegeben, deine Entscheidung zu bekämpfen.«
»Ich ruf dich später an, Dad. Paß auf dich auf.«
»Mach’s gut, Kleine.«
»Du auch. Tschüs.«
Abrupt legte sie auf. Decker blieb einen Moment so sitzen, den Hörer am Ohr, und hörte den Wählton. Dann legte auch er auf, schaltete Computer und Modem ein und wählte die Datenbank der Bibliothek von L. A. an. Diese Errungenschaft, dem Sparhaushalt des vergangenen Jahres abgetrotzt, hatte den Ermittlern schon unendlich viele Stunden ödester Recherche erspart. Er gab sein Paßwort ein, und nach ein paar Minuten hatte er gefunden, was er suchte: die Lokalzeitungen des West Valley. Er tippte den Namen Jeanine Garrison in den Suchbefehl ein. Am häufigsten wurde sie in den Gesellschaftsnachrichten und Artikeln über Wohltätigkeitsveranstaltungen erwähnt. In einer zehn Jahre alten Zeitung fand er auch das Foto ihrer ermordeten Eltern, Ray und Linda Garrison. Ein hübsches Paar. Linda war blond und schön gewesen. Freundliche Augen. Ein jugendliches Gesicht. Decker konnte kaum glauben, daß sie damals dreiundvierzig war, sie sah eher wie dreiundzwanzig aus. Ray jedoch war unverkennbar älter. Grau meliertes Haar, auf rauhe Art gut aussehend. Der Typ Vater, den sich jede Tochter wünscht.
Decker ging weiter die Artikel durch.
Erstmals wurde Jeanine bei ihrem Debütantenball erwähnt. Komisch, daß es so etwas noch immer gab, besonders hier in Los Angeles. Aber da stand sie in ihrer ganzen Pracht. Eine betörend schöne Achtzehnjährige in einem Gewand, das alles andere als jungfräulich wirkte. Ein langes, eng anliegendes Kleid mit einem Schlitz bis zur halben Schenkelhöhe und einem Ausschnitt, der tiefe Einblicke in viel Weiblichkeit gewährte.
Decker nahm kurz die Brille ab, rieb sich die Augen. Aus irgendeinem Grund strengte ihn der Bildschirm mehr an als eine Zeitung. Vielleicht wegen der steifen Haltung. Jeanine und Eltern bei einem
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