Decker & Lazarus 11 - Der wird Euch mit Feuer taufen
rechteckig war und von Wand zu Wand reichte, war aus kleinen, milchigen Glasstücken in Gelb, Rot und Blau zusammengesetzt; vermutlich war dahinter ein halbes Dutzend Kameras verborgen. Webster sah hinauf und winkte.
Die Möbel waren aus geöltem Teakholz gefertigt, schlicht im Design und unbequem. Auch die Wände waren, genau wie die Decke, mit Kirschbaumholz getäfelt. Nirgends hingen Bilder, weil das Aussichtsfenster die nötigen Farbtupfer bot – das Laub der Ulmen und Platanen in den verschiedensten Grünschattierungen. Durch das Fenster sah man auf einen künstlichen Wasserfall.
Der vermeintlich heiteren Gelassenheit widersprachen der massive Stahlsafe in der Ecke des Raumes, die modernsten Abhörgeräte hinter der verschlossenen Glastür des Wandregals und der Berge von Papier ausspuckende Computer. Asnikovs Telefonanlage hatte mehr blinkende Knöpfe als ein Flugzeugcockpit.
Ein paar Minuten später kehrte Asnikov zurück und hängte sein Jackett an den Garderobeständer aus Messing. Der Mann war gebaut wie ein Schweißer. Sein Gesicht war hart, die Augen von einem durchdringenden Grün, und sein eckiges Kinn verriet Entschlossenheit. Seine Kleidung passte besser zu einem Hollywoodmanager als zu einem Privatdetektiv. Er trug einen locker sitzenden Anzug im Armani-Stil, dazu ein blau und braun gestreiftes Hemd. Zu dieser eleganten Aufmachung hatte er eine gelbe Krawatte und ein passendes Einstecktuch gewählt.
»Nehmen Sie Ihren Block raus, und machen Sie sich Notizen«, wies er Webster an.
Webster hielt den Block hoch. »Schießen Sie los.«
»Sekten.« Asnikov zählte an den Fingern ab. »Man braucht einen charismatischen Führer – jemand mit dem gewissen Etwas. Denn er ist der Magnet, der die Anhänger anzieht. Die das zweite sind, was man braucht.«
»Anhänger«, sagte Webster.
Asnikov lächelte mit geschlossenen Lippen. »Genau. Sekten brauchen Anhänger. Sie garantieren das Überleben der Sekte, sind die Drohnen, die die Arbeit verrichten und das Wort verbreiten – was das dritte ist, das man braucht.«
Drei Finger wurden hochgereckt.
»Das Wort!«, sagte Asnikov nachdrücklich. »Die Philosophie, der Ismus. Sekten legen stets großen Wert auf Rituale und haben mit großer Wahrscheinlichkeit eine unorthodoxe Philosophie, die eine Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Einstellung fördert. Der ›Ismus‹ ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Sekte. Er musste die Mitglieder isolieren und der Außenwelt entfremden. Daher wird eine erfolgreiche Sekte die Vergangenheit ihrer Mitglieder auslöschen. Denn sobald die Vergangenheit ihrer Anhänger ausgelöscht ist, kann die Sekte sich ihre eigene schaffen, eine, die die Werte der Sekte und ihres Anführers glorifiziert, der seinerseits diese Werte bestimmt. Soweit alles klar?«
»Ja, durchaus«, erwiderte Webster.
»Also noch mal – drei Dinge. Das gewisse Etwas, die Anhänger und die Philosophie«, fuhr Asnikov fort. »Es gibt offene und geschlossene Sekten. Die meisten religiösen waren am Anfang offen, gründeten sich auf dem ›Ismus‹ eines charismatischen Führers, der eine Vision hatte. Beispiele dafür sind die von Mary Baker Eddy gegründete Christian Science, die von Ann Lee in unser Land gebrachten Shaker, die Mormonen unter Führung von Brigham Young, dem ein Engel erschien, die Maroni, der jüdische Chassidismus unter Baal Schern Tov. Heute sind viele dieser Sekten in die allgemeine amerikanische Religion eingegangen. Aber in den Anfängen wurden ihre Anführer verlacht und verfemt.«
»Genau wie Ganz«, stellte Webster fest.
»Ja, aber mit einem großen Unterschied«, erwiderte Asnikov. »Bei den offenen Sekten halten sich die Anhänger strikt an die ›Ismen‹, aber – und das ist ein wichtiger Punkt – sie können jederzeit kommen und gehen. Niemand zwingt sie zum Bleiben. Die Führer sind im Allgemeinen nicht obstruktiv, und der Zugang zu den Mitgliedern ist einfacher.«
»Was Ihnen die Arbeit erleichtert«, sagte Webster.
»Allerdings. Wenn ich mit jemandem allein reden kann, außerhalb der Sekte, gelingt es mir entweder, den Betreffenden zu seinem früheren Leben zurückzuführen, oder es gelingt mir nicht. Wenn ich sicher bin, dass er nicht unter Zwang der Sekte beigetreten ist, ziehe ich mich zurück. Das mag den Eltern zwar nicht passen, aber wenn das Kind über achtzehn ist, müssen sie sich damit abfinden. Mein eigentliches Arbeitsgebiet sind die geschlossenen Sekten, in denen die Anhänger hinter Schloss und Riegel
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