Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
Gesichtsausdruck veränderte. Die fast jugendliche Unschuld in seinen zerfurchten Gesichtszügen wich einer angespannten und entschlossenen Miene. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er wischte sich mit dem Handrücken kurz über den Mund.
»Ein Gebäude kann man wieder aufbauen. Einen getöteten Menschen kann man nicht wieder ins Leben zurückholen. Ist es das, was Sie mir sagen wollen, Mr President?«
Der Präsident zögerte und musste gegen seine Gefühle ankämpfen. Er drehte sich vom Bildschirm weg und schritt zurück zu seinem Sessel, in den er sich wie ein gebrochener Mann sinken ließ.
»Das ist es, was ich Ihnen sagen möchte. Man zwingt mich dazu, ein Opfer zu bringen.«
»Und dieses Opfer bin ich, nicht wahr?«
George T. Gilles konnte seine Tränen nicht mehr unterdrücken, und so wie ihm ging es einigen anderen Personen im Raum. Es war mit einem Mal so ruhig geworden, dass selbst das monotone Surren der Klimaanlage nur wie ein aus der Ferne wehender Wind klang.
»Ja, Harold. Sie sind das Opfer, das ich bringen muss, um das Leben Vieler zu retten. Sobald ich dieses Gespräch beende, werden Sie sterben.«
Harold Tucker hatte jede einzelne Silbe verstanden und wusste nun, dass es Zeit für ihn war, vor seinen Schöpfer zu treten. Noch einmal rasten die Bilder seiner Kindheit an ihm vorbei, die er in meist zerrissenen Kleidern in den Straßenschluchten von New York verbracht hatte. Die schemenhaften Erinnerungen an seine Eltern, an seine erste Jugendliebe und an seine längst verstorbene Frau liefen wie durch ein Kaleidoskop betrachtet vor seinem inneren Auge ab.
Der Wind wehte ein längst vergilbtes Blatt hinauf in die luftigen Höhen und es landete direkt vor seinen Füßen. Er blickte zu ihm hinab, bückte sich dann und hielt das Blatt in seiner Hand.
»Sie sind ein kluger und mächtiger Mann, Mr President. Ich höre an Ihrer Stimme, dass es Ihnen nicht leicht fällt, diese Entscheidung zu treffen. Ich weiß nicht, wie ich an Ihrer Stelle handeln würde, aber ich danke dem lieben Gott, dass er mich niemals vor eine solche Entscheidung gestellt hat.«
»Es tut mir unendlich leid, Harold. Aber wenn ich viele Unschuldige retten kann, habe ich keine Wahl. Ich wünschte, ich wäre an Ihrer Stelle dort und müsste diese große Schuld nicht auf mich nehmen. Ich bitte Sie inständig um Verzeihung«, sprach Gilles mit einem unterdrückten Schluchzen in der Stimme.
»Mr President, machen Sie sich bitte keine Vorwürfe. Sie haben keine andere Wahl. Hören Sie auf einen alten Mann und lassen Sie sich sagen, dass ich mein Leben gelebt habe und bereit bin, für immer von hier zu gehen. Ich habe keine Familie oder jemanden, der um mich trauert. Wenn das alles hier in die Luft fliegen sollte, habe ich nur einen einzigen Wunsch, und Sie müssen mir Ihr Versprechen geben, dass Sie diesen Wunsch erfüllen. Kann ich mich auf Ihr Wort verlassen?«
»Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob überhaupt etwas in die Luft fliegt, Harold. Meine Berater haben mich darauf hingewiesen, dass das altehrwürdige Empire State Building möglicherweise einer Explosion standhält, aber die Abmachung lautet, dass nichts passiert, wenn …«
»Wenn ich sterbe«, vollendete Harold Tucker den Satz. »Sehen Sie dieses Blatt hier? Der Baum hat es abgestoßen und ein neues wird nachwachsen. So ist der Lauf der Dinge. Wenn ich weiß, dass durch meinen Tod andere gerettet werden, gibt mir das ein gutes Gefühl, mich jetzt auf meine letzte Reise zu begeben. Gott möge mir verzeihen, dass ich diesem bösen Menschen all diese kleinen Details, Verstecke und geheimen Tunnelsysteme gezeigt habe, wo er vielleicht seine Bomben versteckt hat. Ich hoffe, Sie sind mir dafür nicht böse, Mr President. Ich habe nur das Gute in diesem Menschen, in diesem Mr Singh, gesehen. Ich liebe dieses Gebäude, und ich werde es … vermissen«, sagte Tucker und sein Gesichtszüge, die zwischenzeitlich einen unterdrückten Zorn erahnen ließen, entspannten sich wieder und erstrahlten in Güte, Aufrichtigkeit und tapferem Glanz.
Der Präsident räusperte sich und blickte ein letztes Mal in die Runde, die bestürzt und voller Anteilnahme das Geschehen verfolgte. Er kam sich vor wie ein Priester, der einem zum Tode Verurteilten die Sterbesakramente erteilte. Nur mit dem Unterschied, dass dieser Priester für den Tod des Verurteilten verantwortlich war.
»Sie haben nichts Unrechtes getan. Verraten Sie mir den Wunsch, denen ich erfüllen darf, falls alles vorbei
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