Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
Tropen. Es lag weder an der Heizung noch an der Klimaanlage, warum McNab anfing zu schwitzen. Es lag an der Abgebrühtheit, mit der ihn die HAMAS wie eine bedeutungslose Randfigur eines Schachspiels über das Spielfeld schob.
Als das Telefon klingelte und seine Sekretärin einen Anrufer aus dem Justizministerium durchstellen wollte, fertigte McNab die Frau barsch ab und erbat sich eine Stunde absoluter Ruhe. Er musste nachdenken, wie er aus dieser schier aussichtlosen Situation entkommen konnte.
Fast ein halbes Jahr lag es zurück, seit ihn die erste Botschaft der HAMAS erreicht hatte. An einem eiskalten Samstag im November hatte plötzlich ein Brief vor seiner Eingangstür gelegen, in dem ein einziges Foto gesteckt hatte. Es hatte ihn in einer verfänglichen Situation gezeigt – in einer eleganten Hotelsuite in Fairfax, Virginia.
Das Foto mit der asiatischen Schönheit, die nackt vor ihm stand und eine Zigarette rauchte, würde für immer in seinem Gedächtnis eingebrannt sein. Was nach dem ersten Brief geschehen war, hatte sich zum Psychoterror der perfidesten Art ausgeweitet. Bei fünf folgenden Gelegenheiten hatte man ihm weitere Fotos zugespielt. McNab hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, wer der Absender war und welche möglichen Forderungen sich dahinter verbargen.
Er wusste, dass er einen riesigen Fehler begangen hatte, als er sich seinerzeit am Rande einer Veranstaltung der NRA, der National Rifle Association, jener mächtigen und einflussreichen Schusswaffenvereinigung, mit der attraktiven Frau eingelassen hatte. Unbemerkt von seinen Gesprächspartnern in der Waffenlobby hatte er sich vom Kongress entfernen können, um sich den verführerischen Reizen der attraktiven Frau hinzugeben.
Während alle seine vorherigen Seitensprünge unbemerkt geblieben waren, hatte diese eine schicksalhafte Begegnung seiner politischen Karriere den entscheidenden Wendepunkt gegeben. Er war in die Falle getappt.
Hatte bis zu diesem Zeitpunkt das Diskreditieren, Integrieren und Korrumpieren zu seinen Stärken gezählt, sah er sich nun selber auf der Seite derer, gegen die ein mächtiger Gegner etwas in der Hand hatte.
Der letzte Brief hatte eine Botschaft enthalten. Und diese Botschaft war unmissverständlich. McNab öffnete den Safe unterhalb des Schreibtischs und kramte nach dem Dokument, welches ihm den politischen Todesstoß versetzen konnte. Zitternd ertasteten seine Hände das Blatt Papier, auf dem die Nachricht der HAMAS, die nichts mit der politischen Gruppe im Nahen Osten zu tun hatte, geschrieben stand:
SEHR GEEHRTER HERR MINISTER!
WIR HABEN SIE IN DEN LETZTEN WOCHEN BEOBACHTET. SIE WIRKEN EIN WENIG NACHDENKLICHER ALS SONST. SIE WIRKEN GEHETZT UND WENIGER KÄMPFERISCH, ALS WIR ES VON IHNEN GEWOHNT SIND. WO IST IHR ZUPACKENDES WESEN, WO IST IHR SPRICHWÖRTLICHER BISS GEBLIEBEN? TÄUSCHEN WIR UNS, ODER SEHEN WIR NICHT DEN MCNAB, DEN ALLE WELT NUR RESPEKTVOLL DER LÖWE NENNT? MAG ES DAMIT ZUSAMMENHÄNGEN, DASS WIR EIN GEMEINSAMES WISSEN TEILEN? IST DIESES WISSEN IN DER BOTSCHAFT BEGRÜNDET, DIE SIE NUN MEHRMALS VON UNS BEKOMMEN HABEN? EIN KLEINES FOTO, SELBSTVERSTÄNDLICH NICHT DAS NEGATIV, MIT EINER DELIKATEN SZENE, MIT DER DIE PRESSE IHREN AUFHÄNGER FÜR EINE BEISPIELLOSE SCHLAMMSCHLACHT BEKOMMEN WÜRDE?
HERR MINISTER, WIR SIND NICHT HIER, UM ÜBER IHR MORALISCHES FEHLVERHALTEN ZU URTEILEN. ES GIBT VIELE MÄNNER IHRESGLEICHEN, DENEN AUSSEREHELICHE FREUDEN EIN WILLKOMMENES VENTIL ZUM KRÄFTEZEHRENDEN JOB SIND. WIR VERFÜGEN ÜBER DIE ENTSPRECHENDE ANZAHL VON DOSSIERS, MIT DENEN WIR BUCHSTÄBLICH KÖNIGE STÜRZEN KÖNNTEN. UNSERE AGENTIN, DIE IN DIESEM SPIEL IHRE REIZE EINGESETZT HAT, BERICHTET UNS AUS TIEFSTER ÜBERZEUGUNG, DASS SIE DAS TREFFEN MIT IHNEN SEHR GENOSSEN HAT UND DASS ES IHR PERSÖNLICH WEH TUN WÜRDE, WENN SIE, MR. MCNAB, DIE KARRIERELEITER HERUNTER FALLEN MÜSSTEN.
WIR BIETEN IHNEN EINEN HANDEL AN, BEI DEM SIE IHR GESICHT WAHREN KÖNNEN, FINANZIELL PROFITIEREN UND VIELLEICHT SOGAR ALS ZUKÜNFTIGER PRÄSIDENT IM WEISSEN HAUS SITZEN. ABER DAFÜR BEDARF ES IHRER TATKRÄFTIGEN UNTERSTÜTZUNG. BETRACHTEN SIE SICH IN DIESEM SPIEL BITTE NICHT ALS MARIONETTE, SONDERN ALS DER VON UNS AUSERWÄHLTE, DER EINEM SOLCHEN VON AUSSEN AUFERLEGTEN DRUCK STANDHÄLT. POLITIK IST EIN SCHMUTZIGES GESCHÄFT, UND IHRE LANDSLEUTE WERDEN IHNEN, EBENSO WIE DIE EIGENEN PARTEIFREUNDE, NICHT DEN ÖFFENTLICHEN SKANDAL VERZEIHEN, SOLLTEN DIESE FOTOS, ZU DENEN ES ÜBRIGENS NOCH EIN ENTSPRECHENDES VIDEO IN SPIELFILMLÄNGE
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