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Defcon One 01 - Angriff auf Amerika

Defcon One 01 - Angriff auf Amerika

Titel: Defcon One 01 - Angriff auf Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Lettau
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Wirtschaft hatte sich erholt, als Harold Tucker schließlich den Beruf des Schweißers erlernte und von 1940 an sein gesamtes Arbeitsleben im Schatten des mächtigen Gebäudes verbrachte. Er hatte sämtliche Stationen und Berufe in den unzähligen Fluren und Etagen durchlaufen. Er war Schweißer, Schreiner, Glaser, Anstreicher, Installateur, Botengänger, Nachtwärter gewesen. Schließlich hatte ihm die Verwaltung einen Job als Wachmann im Aussichtsbereich der 102. Etage gegeben. Seine Pensionierung lag bereits über zwanzig Jahre hinter ihm und seitdem verbesserte er seine kleine Pension unter Duldung der Verwaltung, indem er Touristen gerne ein paar Fakten zu dem Hochhaus erzählte. Mehr aus Mitleid denn aus wirklichem Interesse spendierten die Touristen dafür ab und an ein paar Dollars.
    Aber es waren nicht die anrührenden Familienanekdoten und geschichtlichen Hintergründe zur Entwicklung der Stadtplanung, die Miller an Tuckers Schilderungen interessierten. Es waren vielmehr die kleinen und versteckten Details der Grundrisse und Planungsskizzen des Turms, deren sich Tucker so ausführlich erinnerte. Da war von geheimen und stillgelegten Versorgungstunneln unterhalb der Erde die Rede, die noch aus Zeiten des ursprünglich auf dem Gelände stehenden Waldorf Astoria Hotels herrührten. Oder von einem Labyrinth aus Luft- und Kabelschächten, welches das gesamte Bauwerk mit klimatisierter Luft und Elektrizität versorgte. Tucker kannte die meisten der Angestellten persönlich, schließlich war er hier eine Art Legende. Mit seinen knapp neunzig Jahren, die er in Kürze vollenden würde, war er auf allen Etagen und in allen Abteilungen jederzeit willkommen. Man gewährte ihm Eintritt, wo und wann immer er wollte. Er kannte alle Wachmänner mit Vornamen und hatte die meisten ohnehin überlebt. Das FBI-Team, welches die Sicherheitskontrollen am Straßeneingang unterstützte, war ihm ebenfalls bekannt. Er hatte ein fotografisches Gedächtnis, was viele Kleinigkeiten im und um das Wahrzeichen der Stadt anbelangte. Kurzum: Harold Tucker war eine perfekt funktionierende nachrichtendienstliche Quelle, die niemals versiegte. Und für einen Terroristen wie Miller war es ein Grund mehr, unter den Augen dieses geschwätzigen alten Mannes ein weiteres Stück Kuchen zu essen. Einfacher konnte er nicht an Informationen gelangen, wenn er dieses schöne Gebäude dem Erdboden gleichmachen wollte. Aber ob es dazu kommen würde, lag nicht in seiner Hand. Letztendlich würde darüber der amerikanische Präsident entscheiden. So sah es sein Plan vor.
    Es war Zeit, sich von Harold Tucker, der ihn liebenswürdigerweise in seine kleine Wohnung am Hamilton Fish Park auf der Lower East Side eingeladen hatte, zu verabschieden. Miller hatte alle Informationen, die er benötigte, und Tucker war damit für ihn wertlos geworden. Miller erwog, den alten und mit Sicherheit mit wenigen Kräften ausgestatteten Mann in seinem Schlafzimmer unter einem Kissen zu ersticken. Alternativ hätte er ihm auch einfach das Genick brechen können, um es wie einen tragischen Sturz auf den Küchentisch aussehen zu lassen. Aber irgendein siebter Sinn hielt ihn davon ab, und Miller entschied sich dafür, Tuckers Schicksal in die Hände Allahs zu legen. Sollte dieser entscheiden, ob Tucker zu seinem neunzigsten Geburtstag, wie jeden Tag in der 102. Etage, seinem Job nachgehen konnte oder ob er an diesem Tag vor den eingestürzten Trümmern des Empire State Building stehen würde. Das würde Harold Tucker dann ohnehin jeglichen Lebensmut nehmen und er würde anschließend an gebrochenem Herzen sterben.
    »Leben Sie wohl, Mr Tucker, es ist sehr spät geworden. Ihre Ausführungen waren für mich sehr hilfreich. Viel lebendiger und interessanter, als sie durch Bücher vermittelt werden können. Gebäude können eine Art Seele haben, das habe ich jetzt erkannt«, hatte Miller sich verabschiedet und einen zufriedenen Harold Tucker, der wohl kein weiteres Mal in den Genuss kommen würde, seine gesamte Lebensgeschichte einem Fremden zu erzählen, zum Abschied die Hand gereicht.
    Die Adresse, die Harold Tucker Steve Miller mit der Bitte um eine Postkarte aus Indien in krakeliger Schrift auf einem Stück Papier hinterlassen hatte, warf Miller beim Verlassen des alten und schäbigen Mietshauses gleichgültig in den erstbesten Mülleimer. Es war Punkt Mitternacht geworden, und er hatte sich dazu entschieden, einen nächtlichen Spaziergang zum Fulton Fish Market anzutreten, der um

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