Defekt
vorsichtig sein, antwortete
er.
Ich möchte nicht, dass Sie
sterben, Pete. Sie sind ein großer, kluger, gut aussehender Mann, und ich will,
dass Sie noch lange am Leben bleiben.
Sie kennen mich doch gar nicht.
Ich kenne Sie besser, als Sie
denken.
Er hat eine Therapie bei ihr angefangen. Innerhalb
eines Monats hat er das Trinken und das Rauchen eingeschränkt und fünf Kilo
abgenommen.
„Ich habe gerade keinen Gesichtsausdruck und weiß
nicht, wovon Sie reden“, sagt Marino und tastet wie ein Blinder sein Gesicht
mit den Fingerspitzen ab.
„Doch, haben Sie. Sobald der Regen aufgehört hat,
haben Sie den Gesichtsausdruck bekommen. Ihre Gefühle stehen Ihnen ins Gesicht
geschrieben, Pete“, beteuert Dr. Seif. „Ich frage mich, ob sich dieser
Gesichtsausdruck nicht bis zurück nach New Jersey verfolgen lässt. Was meinen
Sie?“
„Dass Sie Müll reden. Eigentlich bin ich zu Ihnen
gekommen, weil ich nicht mit dem Rauchen aufhören konnte und ein bisschen zu
viel gegessen und getrunken habe. Nicht wegen einem dämlichen Gesichtsausdruck.
Über meinen Gesichtsausdruck hat sich noch nie jemand beschwert. Meine Frau
Doris zum Beispiel lag mir ständig damit in den Ohren, dass ich zu dick bin
und zu viel rauche und trinke. Gegen meinen Gesichtsausdruck hatte sie nie
etwas einzuwenden. Und der war auch bestimmt nicht der Grund, warum sie mich
verlassen hat. Das war bei keiner Frau, mit der ich zusammen gewesen bin, so.“
„Was ist mit Dr. Scarpetta?“
Er zuckt zusammen und weicht ihr wie immer aus, wenn
das Thema Scarpetta aufs Tapet kommt. Es ist kein Zufall, dass Dr. Seif es erst
kurz vor Ende der Sitzung erwähnt.
„Eigentlich sollte ich jetzt in der Gerichtsmedizin
sein“, erwidert er.
„Solange es nicht als Patient ist“, witzelt sie.
„Mir ist heute nicht nach Scherzen zumute. Ich
ermittle in einem Fall und soll rausgedrängt werden. Das passiert mir inzwischen
ständig.“
„Hat Scarpetta Sie ausgeschlossen?“
„Dazu hatte sie keine Gelegenheit. Ich wollte einen
Interessenkonflikt vermeiden und bin deshalb der Autopsie ferngeblieben. Nur
für den Fall, dass sich später jemand irgendwelche Vorwürfe gegen mich aus den
Fingern saugt. Außerdem ist ziemlich offensichtlich, wie die Frau zu Tode
gekommen ist.“
„Welche Vorwürfe?“
„Die Leute werfen mir dauernd irgendetwas vor.“
„Nächste Woche werden wir über Ihre Paranoia
sprechen. Auch das hängt mit Ihrem Gesichtsausdruck zusammen. Glauben Sie,
dass Dr. Scarpetta ihn nie bemerkt hat? Ich würde jede Wette eingehen, dass sie
weiß, wovon ich rede. Sie sollten sie einmal fragen.“
„Das ist doch nichts als Scheiße.“
„Erinnern Sie sich an unsere Vereinbarung, was
Kraftausdrücke angeht? Fluchen ist ausagieren. Ich aber möchte, dass Sie mir
von Ihren Gefühlen erzählen, nicht dass Sie sie ausagieren.“
„Ich fühle, dass das
Scheiße ist.“
Dr. Seif schmunzelt, als hätte sie es mit einem
unartigen Jungen zu tun, der einen Klaps verdient hat.
„Ich bin nicht wegen einem Gesichtsausdruck zu Ihnen
gekommen, den nur Sie wahrnehmen und sonst niemand.“
„Warum fragen Sie Dr. Scarpetta nicht danach?“
„Ich fühle, wie ein >verdammte Scheiße, nein< in mir hochsteigt.“
„Wir wollen es besprechen, nicht ausagieren.“
Es gefällt ihr, sich diesen Satz sagen zu hören, und
sie denkt an das Motto ihrer Radiosendung: Besprechen Sie es mit Dr. Seif.
„Was ist heute geschehen?“, erkundigt sie sich bei
Marino.
„Wollen Sie mich veräppeln? Ich bin ins Haus einer
alten Dame hineinspaziert, der gerade jemand die Rübe weggepustet hatte. Und
jetzt dürfen Sie raten, wer die Ermittlungen leitet.“
„Ich würde annehmen, dass Sie es sind, Pete.“
„Das stimmt aber nicht ganz“, gibt er zurück.
„Früher wäre es sicher einmal so gewesen. Das habe ich Ihnen ja schon erklärt.
Inzwischen darf ich lediglich als Ermittler Dr. Scarpetta unterstützen. Aber
die tatsächlichen Ermittlungen in einem Fall kann ich nur noch leiten, wenn die
zuständige Polizeidienststelle mich damit beauftragt, und das wird Reba
niemals tun. Sie hat zwar keine Ahnung vom Geschäft, aber sie kann mich nun mal
nicht leiden.“
„Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie ihr so
lange zugesetzt, bis sie die Geduld mit Ihnen verloren und versucht hat, Sie
abzuservieren. So haben Sie es zumindest geschildert.“
„Sie hat als Detective nichts verloren, verdammt!“,
ruft Marino, und sein Gesicht rötet sich.
„Erzählen Sie mir
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