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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Lucy?“
    „Weißt du was, Tante Kay?“ Als Lucy sich zu ihr
umdreht, wirkt ihr Gesicht im sanften Schein der Laternen am Wellenbrecher
markant. „Du hast wirklich keine Ahnung von dem, was in letzter Zeit bei mir
gelaufen ist. Also tu auch nicht so.“
    „Das hört sich an wie ein Vorwurf. Überhaupt klingst
du heute so vorwurfsvoll. Ganz, als ob ich dich irgendwie enttäuscht hätte. Es
tut mir Leid. Und zwar mehr, als du dir vorstellen kannst.“
    „Ich bin nicht du.“
    „Natürlich nicht. Warum wiederholst du das ständig?“
    „Ich bin nicht auf der Suche nach einer festen
Beziehung, einem Menschen, der mir wirklich wichtig ist und ohne den ich nicht
leben kann. Ich will keinen Benton, sondern Leute, die schon morgen wieder
vergessen sind. Affären für eine Nacht. Möchtest du wissen, mit wie vielen ich
schon im Bett war? Ich weiß es selbst nicht.“
    „Du bist mir im letzten Jahr ständig aus dem Weg
gegangen. Ist das der Grund?“
    „Es ist leichter so.“
    „Befürchtest du, ich würde dich verurteilen?“
    „Vielleicht solltest du das.“
    „Mich stört nicht, mit wem du schläfst, sondern dein
sonstiges Verhalten. In der Akademie ziehst du dich aus dem Alltagsgeschäft
zurück, machst einen Bogen um die Lehrgangsteilnehmer und bist fast nie da.
Und wenn du dich doch mal blicken lässt, verausgabst du dich im Fitnessraum, in
einem Helikopter oder auf dem Schießstand oder testest irgendetwas, vorzugsweise
eine möglichst gefährliche Maschine.“
    „Kann sein, dass Maschinen das Einzige sind, mit dem
ich klarkomme.“
    „Wenn man etwas vernachlässigt, geht es früher oder
später vor die Hunde. Das ist nur ein kleiner Tipp, Lucy.“
    „So wie mein Körper.“
    „Was ist mit deinem Herzen, mit deiner Seele? Damit
sollten wir uns mal beschäftigen.“
    „Du bist ganz schön kaltschnäuzig. So viel also zu
meiner Gesundheit.“
    „Ich bin alles andere als kaltschnäuzig, und deine
Gesundheit bedeutet mir mehr als meine eigene.“
    „Ich glaube, sie hatte alles geplant. Sie wusste,
dass ich in der Kneipe bin, und sie führte etwas im Schilde.“
    Sie spricht wieder über die Frau mit den
Handabdrücken, die denen am Körper des Mordopfers in Bentons Fall ähneln.
    „Du musst Benton von Stevie erzählen. Wie heißt sie
mit Nachnamen? Was weißt du sonst noch über sie?“, fragt Scarpetta.
    „Sehr wenig. Bestimmt hat sie nichts mit der Sache zu
tun, aber merkwürdig ist es doch. Sie war nämlich um die Zeit, als die Frau
ermordet und ihre Leiche beseitigt wurde, in derselben Gegend.“
    Scarpetta schweigt.
    „Ob es dort eine Art Sekte gibt?“, fährt Lucy fort.
„Deren Mitglieder sich alle mit Handabdrücken bemalen? Spar dir bitte ein
Urteil. Ich will nicht hören, wie dumm und leichtsinnig ich mich verhalten
habe.“
    Scarpetta mustert sie wortlos.
    Lucy reibt sich die Augen.
    „Ich fälle kein Urteil über dich, sondern versuche
nur zu begreifen, warum du dich von allem abgewendet hast, was dir wichtig ist.
Die Akademie ist dein Werk. Dein Lebenstraum. Da du offizielle
Strafverfolgungsbehörden, vor allem das FBI, verabscheust, hast du deine eigene
Organisation gegründet. Und nun irrt ein reiterloses Pferd über die Koppel. Wo
bist du?
    Wir alle, das heißt die Leute, die du unter deinem
Banner versammelt hast, fühlen uns im Stich gelassen. Die meisten Lehrgangsteilnehmer
des letzten Jahres sind dir nie begegnet, und einige Dozenten haben keine
Ahnung, wer du bist, und würden an dir einfach vorbeigehen.“
    Lucy beobachtet, wie ein Segelboot mit eingerollten
Segeln durch die Nacht tuckert, und reibt sich die Augen.
    „Ich habe einen Tumor“, sagt sie. „Im Gehirn.“
     
    39
     
    Benton vergrößert das nächste Foto, das am Tatort
aufgenommen wurde.
    Die Tote sieht aus, als wäre sie einem abscheulichen
gewaltpornographischen Machwerk entstiegen. Sie liegt auf dem Rücken, Arme
und Beine sind gespreizt, die blutbeschmierte weiße Hose ist wie eine Windel um
ihre Hüften gewickelt. Ein mit Fäkalien und ein wenig Blut beschmutztes Höschen
bedeckt ihr zerschmettertes Gesicht wie eine Maske mit herausgeschnittenen
Augenlöchern. Benton lehnt sich zurück und überlegt. Es wäre zu einfach, davon
auszugehen, dass der Täter, der die Tote in den Waiden Woods abgelegt hat, nur
schockieren wollte. Nein, es steckt mehr dahinter.
    Der Fall kommt ihm irgendwie bekannt vor.
    Er betrachtet die zur Windel gefaltete Hose. Dass
sie mit der Innenseite nach außen gedreht ist, könnte

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