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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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einer Weile – es wurde mit der Zeit einfach so, dass ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen konnte, ohne Jonas. Und so – so ging es ihm auch, sagte er. Wir – wir taten ja etwas, das die Leute verurteilen würden, aber – aber wir konnten einfach nicht anders. Wir haben uns geliebt. Es war – Liebe.«
    Ich leerte auch meine Tasse. Es war nur noch weißer Sahneschaum auf dem Boden übrig.
    Sie sagte: »Wir haben natürlich über Scheidung gesprochen. Und er – er hielt es nicht aus. Er sagte: Egal, wie du dich entscheidest, Solveig, ich tue es! Und er tat es. Aber ich – ich zögerte. Ich habe natürlich an die Kinder gedacht. Was würde aus ihnen werden? Und ich gebe es zu, ich machte mir Gedanken, was die Leute sagen würden. Ich dachte an Freunde und Bekannte, an Verwandte und Kollegen, an die Familie – meine Familie – seine Familie. Ich dachte an all die Menschen, die mich mögen, und die mich dann plötzlich nicht mehr mögen würden. An all die, die mir den Rücken kehren würden, die uns den Rücken kehren würden. Und ich dachte, dass man sowohl einen starken Rücken als auch einen starken Magen braucht, um all das zu verkraften. Und ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich das schaffen würde. Erst jetzt … Oh, es ist zum Verzweifeln, Varg – erst jetzt, die letzten Wochen, habe ich angefangen, zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen. Es war ein langer und schmerzvoller Prozess, aber jetzt war ich tatsächlich dabei, mich darauf einzustellen. Jetzt musste ich nur wählen zwischen meiner Pflicht und meiner Liebe. Wir sind schließlich alle Egoisten, oder? Wir wollen, dass es uns selbst gut geht. Wir wollen ein richtiges, eigenes Leben leben. Also was soll ein kleiner Mensch da schon tun?«
    Ihre Augen waren jetzt ganz schwarz. »Ich hatte mich geistig auf die Scheidung eingestellt, und dann auf Jonas. Aber dann – dann passierte – dieser furchtbare …!« Sie atmete heftig ein. »Und alles ist umsonst. Alles war vergeblich. Jonas ist nicht mehr da, und Reidar hat es jetzt erfahren, und vielleicht verlässt er mich. Dann sitze ich da, ganz allein mit mir selbst und meinen Erinnerungen – an ein paar glückliche Jahre, in Untreue.«
    »Ich …«
    »Aber was ist Untreue? Das, was du tust, wenn du mit dem einzigen Mann zusammen bist, den du liebst? Oder was du tust, wenn du mit dem zusammen bist, mit dem du verheiratet bist, und den du nicht mehr liebst? Wenn Reidar und ich miteinander geschlafen haben – ich konnte nicht anders, ich wurde wirklich böse auf mich selbst – aber ich konnte nicht anders, als an Jonas zu denken – wie schön es mit ihm war, wenn wir … Am Ende war es tatsächlich so, dass ich das Gefühl hatte, Jonas untreu zu sein! Kannst du – stell dir das vor!«
    Ich sagte: »Jonas hat übrigens ungefähr dasselbe gesagt. Als er von dir erzählte.«
    Sie hob resigniert die schmalen Schultern und starrte forschend in mein Gesicht. Ihr Lächeln war unglaublich traurig. Es war das traurigste Lächeln, das ich jemals gesehen hatte. Es war das Lächeln einer Frau, die an einem Grab steht und fragt: Was war das Leben? So schnell, so plötzlich? Das Lächeln eines Kindes, das am Strand steht und über das Meer hinausblickt und sagt: Ist das das Meer? Diese ganze Leere? Und es war ein ungeheuer schönes Lächeln.
    Sie sah erst auf die Uhr und dann mich an. »Ich glaube, ich muss – gehen. Wolltest du – mich noch mehr fragen?«
    Ich versuchte nachzudenken, aber es gelang mir nicht. Sie sagte: »Ich habe dich ja kaum zu Wort kommen lassen. Ich habe dir bestimmt ein Loch in den Kopf geredet. Habe ich – habe ich dir helfen können?«
    Ich sagte: »Ich weiß es nicht. Ich glaube es eigentlich nicht. Jedenfalls nicht dabei, herauszufinden … Aber du – und Jonas – ihr habt mir jedenfalls etwas beigebracht, das mir bis jetzt nicht klar war, und das ich nie verstanden hatte. Etwas über die Liebe.«
    Sie nickte traurig und schenkte mir einen Schatten des wehmütigen Lächelns. »Na gut. Dann ist es wohl doch nicht – vergebens gewesen.« Sie nahm sich zusammen und versuchte, munterer zu klingen. »Ein andermal – ein andermal musst du mir von dir erzählen. Gehen wir?«
    Ich nickte und stand auf. Sie knöpfte ihren Mantel wieder zu, und wir gingen nach draußen. Ich schloss die Tür vorsichtig hinter uns und nickte der alten Frau zu, die hinter dem Tresen hervorkam und zu unserem Tisch ging, um die Tassen abzuräumen.
    Draußen vor der Konditorei blieben wir stehen. Es

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