Dein bis in den Tod
»Aber sie sagte, sie habe es selbst herausgezogen. Sie kam aus dem Keller mit einem Marmeladenglas – was da zerbrochen liegt – und fand ihn so. Sie hatte ihn nicht erwartet, sie lebten getrennt, aber er hatte immer noch einen Schlüssel, er hatte sich also wohl selbst aufgeschlossen, und sie – sie war nur ein paar Minuten im Keller, und in der Zwischenzeit – ich stand selbst unten vor dem Haus und sah ihn dort zur Tür gehen, und …«
Er betrachtete mich mit einem leicht amüsiert wirkenden Blick und sagte: »Den ganzen Tatverlauf werden wir sicher später beschrieben bekommen. Aber du musst doch wohl zugeben, dass das Ganze ziemlich – eindeutig aussieht. Vorläufig. Aber um Himmels willen, nichts ist sicher. Es gibt viele Unklarkeiten. Wie passt zum Beispiel du ins Bild?«
Ich sagte: »Das ist eine komplizierte Geschichte. Es hat mit ihrem Sohn zu tun, mit ihr selbst, ihrem Mann …« Ich nickte automatisch. »Aber du bekommst alles zu hören. Es hat – keine Bedeutung. Nicht für dies hier.«
»Tja. Das werden wohl wir entscheiden.«
Ich spürte einen kleinen Eisschauer mein Rückgrat hinunterlaufen. Ich wusste, dass ich vor einem sehr fähigen Ermittler stand und fragte mich automatisch selbst: Hatte es vielleicht doch etwas damit zu tun? War das Ganze ein großes, kompliziertes Spiel, ein Puzzlespiel, das ich noch nicht übersehen konnte? Welche schicksalhaften Verknüpfungen hatten zu dieser traurigen Leiche in diesem traurigen Flur geführt? Die zwischen Wenche und Jonas Andresen? Oder die Solveig Mangers? Jokers? Und wie viel sollte ich ihm erzählen? Wie viel sollte ich für mich behalten?
Der medizinische Sachverständige kam, ein kleiner Mann mit randloser Brille, einem verschrumpelten Mund, einer großen Nase, die zu zittern schien, einem gepflegten Schnauzbart und Augen, in denen ein routiniertes und entspanntes Interesse an toten Menschen zu lesen war.
Die Männer von der technischen Abteilung kamen herein und einer von ihnen blieb vor dem Messer stehen. »Fingerabdrücke?«, fragte er an Hamre gewandt.
Ich sagte: »Ihr werdet die Fingerabdrücke von Wenche Andresen finden und meine, ganz unten am Schaft. Ich musste ihr das Messer abnehmen. Ob ihr noch andere findet, weiß ich nicht.«
Hamre sagte: »Tja. Dann gehen wir ins Wohnzimmer. Komm, Veum. Lass den Leuten Platz und Ruhe zum Arbeiten.«
Ich warf einen letzten Blick auf Jonas Andresen. Ich konnte seine Stimme vom Abend zuvor noch hören, sah noch die traurigen Augen, als er mir von seiner Ehe erzählte – und von der Frau, die Solveig Manger hieß.
Er hatte sich nicht verändert – nicht sehr. Es gab nur einen einzigen, kleinen Unterschied. Er war tot.
Ich kehrte ihm den Rücken zu und folgte Jakob E. Hamre ins Wohnzimmer.
24
Der Wachtmeister saß neben Wenche Andresen auf dem Sofa und sah aus, als habe er den ehrenvollen Auftrag, auf etwas sehr Wertvolles aufzupassen. Ein Ausdruck von Stolz lag auf seinem Gesicht, und seine großen Pranken lagen Vertrauen erweckend auf den Knien. Er war zwei Nummern zu groß für dieses Sofa, aber er war zwei Nummern zu groß für alle Sofas der Welt. Wenn er aufstand, war er ungefähr zwei Meter groß. Ich hatte keine Lust, mit ihm Betriebsfootball zu spielen, jedenfalls nicht in der gegnerischen Mannschaft.
Jon Andersen saß da und starrte aus dem Fenster, als suche er draußen in dem trostlosen Grau nach der Wahrheit über den März.
Wenche Andresen hatte beide Hände um eine Tasse heißen Tees gefaltet. Sie saß mit krummem Rücken da und starrte in die Tasse hinunter, kauerte sich um sie herum, wie um die Wärme zu halten. Sie würde nie wieder ganz warm werden. Sie würde immer einen kleinen Streifen Frost in sich tragen, irgendwo.
Als ich hereinkam, sah sie auf.
Hamre nickte ihr freundlich zu. »Gibt es noch Tee?«, fragte er Jon Andersen.
»Ja«, antwortete Andersen und holte zwei Tassen und eine halb volle Kanne aus der Küche.
»Es ist Zitrone im Schrank«, sagte Wenche Andresen schwach und hob den Kopf, als würde sie auf etwas horchen.
»Danke, für mich nicht«, sagte Hamre.
Ich sagte: »Das wäre gut. Und ein bisschen Zucker, wenn du hast.« Dann hatte man etwas zu tun: im Tee rühren.
Hamre sagte: »Es tut mir Leid, dass wir Sie stören müssen, aber es gibt da ein paar Dinge, die wir versuchen müssen, so schnell wie möglich zu klären, wenn Sie verstehen. Ich werde versuchen, es kurz zu machen. Möchten Sie – mit Ihrem Anwalt sprechen?«
Sie sah ihn mit
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