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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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leeren Augen an. Dann wanderte ihr Blick zu mir. Ich glaube nicht, dass sie die Tragweite der Frage verstand. Ich sagte: »Das wäre vielleicht klug.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, mit meinem Anwalt? Warum denn?«
    Hamre sagte: »Na ja, man weiß ja nie. Aber gut. Bitte erzählen Sie – alles.«
    Sie sah vor sich hin, an ihm vorbei, an uns allen vorbei, eine halbe Stunde zurück in der Zeit. Ihre Stimme war noch immer schwach, und ihr Ton fast apathisch. »Da ist nicht viel zu erzählen. Ich – ich war gerade aus dem Büro nach Hause gekommen. Ich wollte Essen machen. Labskaus. Das – das – haben Sie die Platte abgedreht?«, fragte sie plötzlich an Jon Andersen gewandt.
    Er nickte. »Es ist okay, sie steht auf 1.«
    »Ja – vielleicht – will Roar etwas. Wenn er …«
    »Ja?«, sagte Hamre vorsichtig.
    »Essen. Und dann wollte ich, ich hatte gedacht, ich mache rote Grütze zum Nachtisch, aus der Erdbeermarmelade, die ich – im Keller hatte. Also ging ich runter, in den Vorratsraum.«
    »Einen Augenblick. Nahmen Sie den Fahrstuhl?«
    »Nein. Ich ging die Treppe hinunter.«
    »Die Treppe in diesem Flügel?«
    »Ja, natürlich.«
    »Und es begegnete Ihnen niemand auf dem Weg nach unten?«
    Sie schüttelte den Kopf und schluckte. »Niemand.« Dann hielt sie inne. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, ihre Lippen zitterten leicht. Sie sah sich um.
    Ich fand ein Taschentuch und beugte mich über den Tisch, um es ihr zu geben.
    Sie nahm es, wischte sich aber nicht die Augen damit, sondern hielt es sich vor den Mund und atmete langsam dadurch ein, als würde es irgendeinen beruhigenden Stoff enthalten.
    »Möchten Sie eine Zigarette, Frau Andresen?«, fragte Hamre und hielt ihr eine Schachtel hin.
    Sie nickte und nahm eine, steckte sie sich umständlich in den Mund und ließ sich von Hamre Feuer geben.
    So hatten wir beide ihr einen Dienst erwiesen, und sie konnte fortfahren, mit einem Tauvorhang von Tränen vor den Augen. »Er … als ich wieder raufkam … Ich sah sofort, als ich auf den Balkon kam, dass die Tür einen Spalt offen stand, und das … Hier ist in letzter Zeit so viel passiert. Ich bekam solche Angst, ich dachte – Roar – und dann … Dann fand ich ihn.«
    Ich sagte: »Das ist richtig, Hamre. Ich sah sie laufen. Von unten vom Parkplatz aus.«
    Er sagte: »Bitte unterbrich nicht, Veum. Zu dir kommen wir später.« Zu ihr sagte er: »Und Sie kamen auch über die Treppe wieder nach oben?«
    Sie nickte.
    »Und begegneten Sie diesmal jemandem?«
    »Nein. Aber …«
    »Ja?«
    »Nein, ich meine – es gibt ja zwei Fahrstühle und dann die Treppe im anderen Flügel, also jemand hätte leicht …«
    »Ja, darüber sind wir uns im Klaren. Der eine Fahrstuhl ist offensichtlich defekt, aber es gibt durchaus Möglichkeiten, hier wegzukommen.«
    »Es könnte sogar ein anderer Bewohner sein«, sagte Jon Andersen. »Einer, der nicht so weit fliehen musste, meine ich.«
    Hamre sah ihn nachdenklich an. »Ja. Vielleicht.« Aber er sah nicht aus, als würde er wirklich daran glauben.
    Er fuhr an Wenche Andresen gerichtet fort: »Versuchen Sie, sich zu erinnern, was passiert ist – als Sie ihn entdeckten. Ich weiß, dass es schmerzvoll ist, aber …«
    Sie sagte lakonisch: »Er lag dort auf dem Boden – und blutete. Ich hatte ihn seit – mehreren Wochen – nicht gesehen – und es war so eigenartig, ihn plötzlich so zu sehen. Wir waren – getrennt, verstehen Sie. Er hatte mich verlassen. Und dann … ich glaube – erst lief ich raus, auf den Balkon, ganz panisch. Ich glaube, ich habe gerufen.«
    Ich nickte bestätigend.
    »Und dann – dann lief ich wieder rein. Ich wollte die Blutung stoppen, ich wusste nicht, was ich tun sollte – und zog das Messer raus – aus seinem Bauch. Aber da blutete er nur noch mehr – und dann … Dann kam – er.«
    Sie sah mich an, und ich sah Hamre an. »Wie ich gesagt habe«, sagte ich. »Und da stand sie da, mit – dem Messer in der Hand.«
    Er sah mit seinem durchdringenden Blick direkt durch mich hindurch. Jon Andersen räusperte sich. Der namenlose Wachtmeister starrte mich an. Hamre sagte: »Frau Andresen, Sie haben erwähnt, dass hier in letzter Zeit so viel passiert sei. Haben Sie da an etwas Bestimmtes gedacht?«
    Sie nickte heftig. »Ja. Ja!« Sie sah zu mir. »Kannst du es nicht erzählen, Varg? Ich kann nicht mehr.«
    Die Blicke der drei Polizisten wanderten wieder zu mir. Ich sagte: »Klar. Das erklärt auch, was ich hier zu suchen habe.« Und dann erzählte

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