Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
es in ihrer Sprache gab.
    »Er war ein Querkopf«, sagte ihr Mann. »Und wir sahen, wo das hinführte.«
    Sie fuhr fort: »Wir sind überhaupt nicht so. Wir kommen aus einem gottesfürchtigen Haus, aber es war ein helles und frohes Christentum, keine dunkle Geschichte. Mein Vater – er ist jetzt tot, Gott sei seiner Seele gnädig –, aber ich habe nie einen Menschen lachen hören wie ihn. Er war ein durch und durch guter Mensch und selbst in seinen letzten Krankheitsjahren behielt er dieses Wesen, im Glauben an seinen Erlöser. Als er starb, trauerten wir nicht, nicht seinetwegen – warum sollten wir? Er war heimgekehrt, um ihn brauchten wir uns nicht zu sorgen. Da war es trauriger für uns, die wir übrig blieben und den Verlust erfahren mussten. Meine Mutter: Wie soll ich ihr das hier erzählen? Ich weiß es einfach nicht. Wenn etwas sie töten kann, dann … Sie und Vater haben Jonas nie verstanden. Genau wie er sie nicht verstand. Ich sage nicht, dass das sein Fehler war oder ihrer. Sie kamen einfach aus zwei verschiedenen Welten und jetzt …«
    Reidar Baugnes wiederholte: »Jetzt sehen wir, wohin es geführt hat.«
    Heftiger sagte sie: »Ich verstehe es einfach nicht. Wenn zwei Menschen einander geheiratet und sich versprochen haben, dass der eine zu jemand anderem gehen kann, einem Außenstehenden! Ich kann ihm verzeihen, dass er aus einer anderen Welt kam, aber das – das kann ich nicht verzeihen. Das kann ich nicht verstehen.«
    Ihr Mann nickte zustimmend. Dann sagte er: »Sind Sie verheiratet?«
    »Nein.« Und mehr wollte ich ihnen nicht erzählen.
    »Nein. Dann verstehen Sie es wohl nicht. Aber eine Ehe, eine Vereinigung zwischen zwei Menschen, die sich lieben, das ist – das sollte etwas so Heiliges und Reines sein, dass nichts – nichts! – zwischen die beiden treten kann. Und es zerstören.«
    Ich nahm ein belegtes Brot, um nicht antworten zu müssen. Dann leerte ich meine Tasse und stand auf. »Ich muss wohl zusehen, dass ich loskomme. Ich muss wieder in die Stadt.«
    Sie erhoben sich. Sissel Baugnes sagte: »Was Sie eben sagten, wir sind sehr froh darüber. Wenn wir irgendwie helfen können, dann melden Sie sich einfach. Wir haben nicht so viel Geld, aber ein bisschen …« Sie ließ es in der Luft hängen, wo die meisten Geldfragen normalerweise hängen, bevor sie auf wunderbare Weise verduften und sich auflösen.
    Ich sagte: »Versprechen Sie mir nur eines. Passen Sie gut auf Roar auf, wenn …«
    Sie nickten beide. »Wir werden uns um ihn kümmern, als wäre er unser eigener Sohn.«
    In gewisser Weise fühlte ich mich beruhigt. Ich glaubte, dass er es bei seiner Mutter besser haben würde, aber wenn alles schief ginge – dies war auch nicht das schlimmste Zuhause, das ihm zugeteilt werden konnte.
    Reidar Baugnes begleitete mich vor die Tür. Als seine Frau wieder hineingegangen war, sagte er mit leiser und vertraulicher Stimme: »Ich wollte es drinnen nicht sagen – aber hier draußen, von Mann zu Mann, Veum. Ich bin ein Mann, und ich habe die Gelüste eines Mannes. Und es gibt genug Versuchungen in der heutigen Welt. Unten bei der Arbeit, da sind genug reizvolle Mädels, und sie sind alle nicht schüchtern. Ich könnte schon …« Er sah konzentriert vor sich hin, während er an all das dachte, was er könnte, wenn er den Mut dazu hätte. »Aber ich habe gelernt, meine Gelüste zu zähmen, Veum. Es würde mir niemals einfallen, nicht in meinen dunkelsten Stunden, Sissel untreu zu werden.«
    »Nein. Genau«, sagte ich. »Ich verstehe.«
    »Ja, nicht wahr?«, sagte er und seine Stimme klang fast dankbar.
    Dann verabschiedete ich mich und ging in den Garten hinunter. Roar spielte mit dem kleinen Hund. Als ich den Gang herunterkam, riss er sich von dem Spiel los, kam mir entgegengelaufen und legte die Arme um meine Taille. »Willst du jetzt gehen?«, sagte er hinauf in mein Gesicht. »Musst du?«
    Ich sah in sein junges, unfertiges Gesicht hinunter. »Ja, leider. Ich muss. Ich muss zurück in die Stadt, weißt du. Du wirst es hier gut haben, Roar – die Tage, die du hier sein musst.«
    »Wirst du – Mama treffen?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Sag ihr – sag ihr, dass ich sie lieb habe und dass ich auf sie warte – egal, was sie …« Mehr sagte er nicht, und den ganzen Weg zurück sollte ich darüber nachdenken, wie er den Satz vollendet hätte: egal, was sie … getan hat?
    Eigentlich kann man vor Kindern nichts geheim halten. Sie wissen sowieso längst alles. Sie haben es gewusst, seit sie

Weitere Kostenlose Bücher