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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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ich.
    »Berit ist elf und Anne-Lise ist dreizehn. Reidar – mein Mann, wollte versuchen, heute früher nach Hause zu kommen.«
    »Was macht er?«
    Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und durch das Haar. »Er ist Geschäftsführer unten im Supermarkt. Früher hat er sein eigenes kleines Geschäft gehabt, aber es wurde zu schwierig, die Konkurrenz war zu groß. Er war nie zu Hause, konnte es sich nicht leisten, konnte sich auch nicht leisten, jemanden anzustellen. Abends musste er die Regale auffüllen und auszeichnen und Bestellungslisten vorbereiten und die Abrechnung machen. Ja, er hat jetzt auch viel zu tun – so ist das nicht, aber es ist jedenfalls friedlicher.«
    Sie wirkte auf eine ruhige Weise unruhig. Sie hatte nichts Nervöses oder Hektisches an sich und dennoch wirkte sie rastlos, fast gereizt. Auf ihrer schmalen, scharfen Nase sah man ein dünnes Muster roter Adern und ihre Lippen wirkten trocken und blass. Sie sagte: »Ich kann es einfach nicht begreifen – wie das alles …«
    Sie sah zu Roar. »Roar, kannst du nicht ein bisschen mit Passopp in den Garten gehen?«
    Roar nickte. Er sah mich an. »Du gehst doch noch nicht, Varg?«, fragte er.
    »Nein, nein. Ich geh noch nicht so schnell.« Da war sie wieder, die fremde Stimme. Die Stimme eines anderen.
    Sobald er draußen war, sagte sie: »Die Polizei hat gesagt – sie gaben uns zu verstehen … Stimmt es, dass Wenche unter Verdacht steht – dass sie …« Sie brachte es nicht über die Lippen, starrte mich nur ungläubig an.
    Ich sagte: »Ja. Das heißt – ich denke schon.« Ich beugte mich vor. »Aber ich glaube es nicht. Nicht eine Sekunde lang. Ich habe Ihre Schwester nicht besonders gut gekannt. Es ist weniger als eine Woche her, dass ich sie zum ersten Mal sah. Aber ich glaube nicht, dass sie – ihren Mann umgebracht hat.« Ich schluckte. »Ich weiß nicht, ob die Polizei gesagt hat, wer ich bin …«
    Sie nickte schwach.
    »Ich bin Privatdetektiv. Es ist mein Job, Dinge aufzuklären. Nicht so ernste wie einen Mordfall – aber das hier ist für mich auch kein ›Fall‹. Es ist eher eine Tragödie, die Menschen zugestoßen ist, die ich – mag, und ich verspreche Ihnen, Frau Baugnes, ich verspreche Ihnen, dass, wenn es etwas herauszufinden gibt, etwas, das ein Gegenbeweis gegen das sein kann, was die Polizei – annimmt – wenn es das gibt, dann werde ich es herausfinden. Das verspreche ich Ihnen, auf Ehre und Gewissen …«
    Sie betrachtete mich wie aus der Ferne. »Ja, denn wir konnten es nicht glauben. Sie – hat – Jonas so geliebt, und sie war so unglücklich. Ich habe niemals jemanden so unglücklich gesehen wie sie, als es aus war, als sie sich getrennt haben – wegen – wegen …«
    Die Haustür schlug zu, und wir hörten schwere Schritte im Flur. Ein Mann betrat das Zimmer, und Sissel Baugnes und ich erhoben uns beide.
    »Veum«, sagte sie. »Das ist Reidar, mein Mann.«
    Reidar Baugnes gab mir die Hand. »Freut mich«, sagte er.
    Er hatte ein markantes Gesicht voller Falten. Ich schätzte ihn auf ungefähr Ende vierzig: ein Mann mit scharfem Profil, klaren dunkelblauen Augen, einem schmalen Mund und einem Kinn, das sich nie hatte entscheiden können, ob es Kinn oder Hals sein wollte. Er trug einen grauen Arbeitskittel, in dessen Brusttasche drei Kugelschreiber und ein gelber Bleistift steckten. Seine Stimme war belegt, als sei er erkältet.
    Sissel Baugnes sagte: »Wir sprachen gerade über …«
    Er nickte und setzte sich. »Furchtbar«, sagte er zu mir.
    Sie ging in die Küche und holte auch ihm eine Kaffeetasse. Auf eine ruhige und unkomplizierte Weise wirkten sie wie ein glückliches Paar. Sie standen in der Mitte des Lebens und hatten ihre Kreuzwege hinter sich gelassen. Es gab nur noch eine Richtung, und sie brauchten keinen Kompass. Niemand hielt sie auf oder stellte ihnen schwierige Fragen, keine Fremden kreuzten ihren Weg und ließen ihren Blick abschweifen.
    Ich sagte: »Sie … Habe ich es richtig verstanden, dass sie ziemlich – streng erzogen wurden?« Ich sah Sissel Baugnes an.
    Ihr Mann antwortete: »Wer hat das gesagt? Jonas?«
    Sissel Baugnes sagte mit leichter Schärfe: »Ich weiß, dass Jonas es immer so dargestellt hat. Er hat sich bei uns hier nie zurechtgefunden. Er war viel zu anders als wir. Er war ein Stadtkind, und wir waren vom Lande. Er hat uns gern als Pietisten, als übertrieben religiös und so dargestellt, aber das war falsch.« Sie sagte »falsch« als sei das der stärkste Ausdruck, den

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