Dein Blut auf meinen Lippen
angesichts der Drohgebärde, die Tybalt einnahm, war das gar nicht so einfach.
"Nein, nein", antwortete er im Plauderton. "Allerdings könnten sie eine Spur stärker sein."
Tybalt starrte auf Romeos Kelch, der jetzt am Boden lag, und runzelte argwöhnisch die Stirn. "Sie haben einen außergewöhnlichen Geschmack. Die meisten unserer menschlichen Gäste ziehen Wein dem Schweineblut vor."
"Wir sind eben anders als die meisten - genau wie Sie", plapperte Mercutio drauflos.
Tybalt winkte einem Diener, der daraufhin mit einem vollen Tablett herbeieilte und es Romeo entgegenstreckte. "Probieren Sie eine frische Abfüllung. Vielleicht war Ihr erstes Glas mit Parasiten verseucht."
Zögerlich griff Romeo nach einem neuen Kelch. In seinem Magen rumorte es noch immer, und ein widerlicher Geschmack lag ihm auf der Zunge. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel etwas Schokoladenbraunes vorbeihuschen. Ein junges Mädchen mit der gleichen Haarfarbe wie Rosalinde hatte sich unter die Ballgäste gemischt. Romeo klopfte das Herz bis zum Hals, und seine Gefühle gewannen Oberhand über seinen Verstand.
"Bedauerlicherweise muss ich Ihr großzügiges Angebot ablehnen", sagte er zu Tybalt und versuchte, das junge Mädchen im Blick zu behalten.
"Warum - wenn ich fragen darf?" Tybalt ließ seine Fingerknöchel krachen und lächelte finster.
Romeo war klar, dass Tybalt nur darauf wartete, einen Streit vom Zaun zu brechen. Um ihn loszuwerden, musste er ihn beruhigen, und zwar schnell. Rosalinde befand sich höchstwahrscheinlich auf der anderen Seite des Saals, und er fürchtete, dass sie dort von einem anderen Verehrer angesprochen werden könnte.
"Verzeihen Sie, mein Herr, ich wollte Sie nicht beleidigen."
"Bei dem brauchst du dich nicht zu entschuldigen", zischte Benvolio durch die zusammengebissenen Zähne. "Dieser Schuft verdient eine Tracht Prügel, und zwar auf die gute, altmodische Art."
Tybalts Miene wurde immer finsterer, er knurrte wie ein Wolf und entblößte die Fangzähne. Dann packte er Romeo am Hals und zog ihn so nah an sich heran, dass er bequem hätte zubeißen können. "Dachtest du wirklich, ich hätte dich nicht längst an deinem Montague-Gestank erkannt?"
Mercutio stellte sich dicht hinter Tybalt, zog unauffällig den Dolch aus dem Gewand und drückte ihn an seinen Rücken. "Tut mir leid, wenn wir hier unangemeldet auftauchen, aber wir waren untröstlich, als wir keine Einladung erhielten."
Benvolio holte den angespitzten Holzpflock aus seiner Hosentasche und richtete ihn auf Tybalts Brust. "Wer könnte es uns auch verdenken, wo unsere Familien doch all die Jahre so herzlich miteinander verbunden waren ..."
Tybalt zog an Romeos Kragen, bis der kaum noch Luft bekam. "Kann von euch Idioten eigentlich keiner zählen? Ihr seid zu dritt, und von meinen Leuten sind dreihundert hier. Ihr kommt hier nicht lebend raus!"
Romeo konnte sich lebhaft vorstellen, wie ein ganzer Saal voller Capulets sich auf sie stürzte und ihn, Benvolio und Mercutio auseinandernahm. Plötzlich traten Fürst Radu und der Gastgeber, Graf Capulet, aus der Menge, und Romeo begriff sofort, dass sich nun eine große Chance eröffnete, die Lage zu entschärfen.
"Verehrter Fürst! Graf Capulet!", krächzte er, so laut er konnte.
Die beiden Angesprochenen schauten sich suchend nach dem Rufer um. Tybalt, Benvolio und Mercutio sahen Romeo irritiert an und vergaßen, dass sie drauf und dran waren, einander zu töten.
"Hier drüben!" Romeo winkte wie wild.
Der Fürst und Graf Capulet bewegten sich in seine Richtung.
"Was gibt es denn?", fragte Graf Capulet. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er Romeos Benehmen unmöglich fand.
"Graf, diese nichtswürdigen Kreaturen hier sind Montagues", sagte Tybalt, ließ Romeo widerwillig los und stieß ihn von sich. "Ich wollte sie gerade -"
"Mit Ihnen bekanntmachen", fiel Romeo ihm ins Wort und schüttelte Graf Capulet die Hand, ehe Tybalt etwas sagen oder tun konnte.
Der Graf und die anderen waren völlig überrumpelt und starrten einander verständnislos an.
"Ach ja?", meinte der Graf und warf seinem Neffen einen halb fragenden, halb tadelnden Blick zu.
"Selbstverständlich!" Romeo legte einen Arm um Tybalts Schultern, als sei er ein alter Freund aus Kindertagen. "Wir sind ja so froh gewesen, als Tybalt uns zum Zeichen der Versöhnung zu Ihrem Ball eingeladen hat. Stimmt doch, Freunde?"
Benvolio und Mercutio steckten unauffällig ihre Waffen weg und nickten vage.
"Das haben
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