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Dein Blut auf meinen Lippen

Dein Blut auf meinen Lippen

Titel: Dein Blut auf meinen Lippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gabe
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Seelenverwandte waren.
    Dieses Mädchen war sein Schicksal, das spürte er genau. Obwohl es nicht Rosalinde Capulet war.

 

    "Guten Abend, mein Fräulein."
    Vier Worte. Mehr brauchte es nicht, um die Schutzmauer einzureißen, die Julia um sich errichtet hatte. Eine schlichte Begrüßung, und doch kam es ihr so vor, als sei es das Schönste, was je ein Mann zu ihr gesagt hatte.
    Es war das "mein", das sie mitten ins Herz traf. Es hatte geklungen, als sei der junge Mann schon sein Leben lang nach ihr auf der Suche gewesen. Er war höflich und sah gut aus. In seinem Blick lag viel Gefühl. Seine Lippen waren schmal, aber rosig, und auf seinem Kinn begannen die ersten Barthaare zu sprießen. Er schien den Blick gar nicht von ihr abwenden zu können, und Julia hätte nie gedacht, dass es so ein wunderbares Gefühl sein könnte, in einem Saal voller Leute so viel Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen.
    Aber sie war zu gut erzogen, um sich ihre Erregung anmerken zu lassen. Während der letzten zwei Jahre hatte die Amme ihr gründlich beigebracht, wie sie sich Männern gegenüber zu benehmen hatte. Regel Nummer eins lautete: Eine Frau musste ein ewiges Geheimnis bleiben, durfte kein Interesse zeigen und nur sehr wenig sagen. Letzteres kam ihr in diesem Moment sehr gelegen, denn plötzlich fühlte sich ihr Mund ganz trocken an. Dann fiel ihr noch ein, dass ihre Amme gesagt hatte, Männer liebten es, hingehalten zu werden und sich für eine Eroberung mächtig ins Zeug legen zu müssen. Am besten sollte man sie im wahrsten Sinne des Wortes hinter sich herlaufen lassen, wie auf der Jagd. Das war jedoch im Moment nicht so einfach, denn Julias Beine fühlten sich an, als seien sie aus heißem Wachs. An Weglaufen war also nicht zu denken.
    Abgesehen davon wollte sie gar nicht weglaufen. Sie fühlte sich von dem jungen Mann so angezogen, dass sie in seiner Nähe bleiben wollte - bis Mond und Sterne verblassten und die Sonne ihren Platz einnahm.
    "Warten Sie auf jemanden?"
    Seine Stimme klang voll und melodisch und zog Julia so in ihren Bann, dass sie nichts erwidern konnte. Also begnügte sie sich damit, einfach nur zu nicken.
    "Verstehe." Einen Moment lang senkte der junge Mann den Blick, dann schaute er wieder auf und lächelte schelmisch. "In dem Fall fühle ich mich verpflichtet, auf Sie aufzupassen, bis Ihr Begleiter zurückkehrt."
    Julia lächelte zurück. "Das ist sehr freundlich, mein Herr. Aber wie kommen Sie auf die Idee, dass ich einen Begleiter habe?"
    "Nun, ich ... ähm ..." Dem jungen Mann gingen die Worte aus, und er hob den Blick zum Himmel, als stieße er ein Stoßgebet aus, um die Sprache wiederzufinden. Dann schaute er Julia direkt in die Augen, und was sie in seinem Blick sah, ließ ihren ganzen Körper erschauern.
    "Ich würde gern etwas über Ihre atemberaubende Schönheit sagen, mein Fräulein. Doch Sie scheinen zu intelligent zu sein, um etwas auf Schmeicheleien zu geben."
    Julia legte die Hand auf die linke Brust, als könnte sie auf diese Weise ihr Herzrasen lindern. "Das ist das netteste Kompliment, das mir je gemacht wurde."
    Der junge Mann lächelte gerührt und sah sich dann kopfschüttelnd im Saal um. "Sagen Sie, mein Fräulein: Was verschlägt Sie an einen Ort wie diesen - mit all den ruchlosen Kreaturen?"
    Beinahe hätte Julia über seine Ahnungslosigkeit gelacht. "Meinen Sie damit die Vampire?"
    "Nicht nur", erwiderte der junge Mann, beugte sich vor und flüsterte Julia ins Ohr: "Ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass sich unter den menschlichen Gästen auch Juristen und Politiker befinden."
    Julia konnte nicht mehr an sich halten und lachte freiheraus. "Damit haben Sie vermutlich recht. Was, wenn ich fragen darf, ist denn Ihr Beruf?"
    "Möchten Sie raten?"
    Julia hoffte, dass er ihr nicht anmerkte, wie viel Zuneigung sie zu ihm gefasst hatte. Aber das misslang ihr gründlich, denn sie lächelte viel zu innig, und sie sah ihn viel zu lange an.
    Andererseits verhielt er sich genauso.
    "Nun, jedenfalls sind Sie kein Vampir", sagte Julia. "Das spricht schon mal für Sie."
    "Glücklicherweise trifft dasselbe auf Sie zu", erwiderte der junge Mann unbekümmert.
    Unwillkürlich begann Julia, sich die Hände zu kneten, und biss sich auf die Unterlippe - schlechte Angewohnheiten, die sowohl ihre Mutter als auch ihre Amme schon oft gerügt hatten. Offenbar hatte der junge Mann nicht bemerkt, wie blass ihre Haut war oder dass sie, im Gegensatz zu den menschlichen Gästen, kein Kreuz um den Hals trug.

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