Dein Blut auf meinen Lippen
Tochter?"
Romeo missfiel der ablehnende Ton des Mönchs. "Spielt es denn eine Rolle, wer ihr Vater ist? Du sagst doch immer, wir alle sind Kinder Gottes, auch die Vampire."
"Mein Sohn, es liegt mir fern, dich zu verurteilen." Beschwichtigend legte der Mönch eine Hand an Romeos Wange. "Ich will dir auch nicht deine Gefühle für das Mädchen ausreden. Ich bin lediglich überrascht."
Romeo legte dem Mönch einen Arm um die Schulter und grinste. "Es freut mich, das zu hören, Bruder, denn Julia und ich wollen heiraten. Und du sollst die Trauung vornehmen - heute noch."
Der Mönch stellte die Schüssel auf den Tisch und sagte erst mal nichts.
"Nun? Was denkst du?", fragte Romeo ungeduldig.
"Es tut mir leid, aber mir fehlen die Worte", erwiderte der Mönch.
"Ein einziges genügt", drängte Romeo. "Und zwar: ja!"
Aber der Mönch stand weiterhin stumm und unschlüssig da.
"Komm schon, Bruder! Julia will es auch. Ja zu sagen ist ganz einfach. Was hindert dich? Du sollst mich ja nicht heiraten, sondern nur trauen." Romeo dachte, dass ein kleiner Scherz die Spannung lindern würde, die plötzlich in der Luft lag.
"Ich möchte dich nicht anlügen, Romeo. Deshalb will ich nicht verhehlen, dass ich von deinem Vorhaben nicht viel halte."
"Und warum nicht?"
"Die Sache mit Rosalinde war unüberlegt und naiv und deswegen völlig harmlos", erklärte der Mönch. "Es mag ja sein, dass du dich ernsthaft in Julia verliebt hast, aber deswegen musst du sie nicht gleich heiraten. Eine Eheschließung ist eine ernste Sache, und du bist noch sehr jung. Ganz zu schweigen von der Braut, die eines nicht mehr fernen Tages ein Vampir sein wird. Ich fürchte, du hast nicht recht bedacht, worauf du dich da einlassen willst."
"Zwei Tage, Bruder", sagte Romeo eindringlich. "Uns bleiben nur zwei Tage, ehe sie sich in einen Vampir verwandelt." Seine Stimme wurde ganz brüchig, weil er mit seinen Gefühlen kämpfte. "Wir können also nicht warten. Ich möchte, dass wir den Bund fürs Leben schließen, solange wir beide noch Menschen sind. Im Übrigen weiß ich, worauf ich mich da einlasse. Ich bin bereit, alle Nachteile in Kauf zu nehmen, die sich für mich daraus ergeben. Es macht mir auch nichts aus, wenn ich verbannt werde. Bitte, Bruder, lass uns nicht hängen! Ich bitte dich inständig."
Der Mönch faltete die Hände vor der Brust und senkte den Kopf, um eine kleine Weile zu beten und nachzudenken. Als er wieder aufschaute, lächelte er Romeo so unbekümmert an, als hätte er nie einen Zweifel an dessen Vorhaben gehegt.
"Im Grunde sollte man sich an dir ein Beispiel nehmen, Romeo", erklärte er. "Wenn alle so wie du in der Lage wären, ihre Feinde zu lieben, würde überall auf der Erde Friede herrschen."
Romeo errötete angesichts dieses Kompliments. "Heißt das, du hilfst uns?"
"Komm mit Julia um drei zu mir. Dann kann ich euch heimlich in der kleinen Kapelle trauen. Und zieh dir bitte etwas an, das eines Bräutigams würdig ist! Immerhin handelt es sich um deine Hochzeit."
Romeo war so erleichtert, dass er den Mönch umarmte. "Tausend Dank, mein Freund!"
"Ich tu es gern", erwiderte der Mönch. "Und ich hoffe, dass es deine Familie dazu bewegt, ihre feindseligen Gefühle zu begraben."
Romeo lächelte glücklich und zwinkerte dem Mönch zu. "Wer weiß, Bruder? Alles ist möglich."
Romeo verbrachte noch einen Gutteil des Vormittags damit, die Durchführung der Hochzeit mit Bruder Lorenzo zu besprechen. Anschließend ging er nach Haus, zum Stammsitz der Montagues. Als er müde durch den dichten Wald trottete, der die kleine Stadt von dem Tal trennte, über dem das Kloster thronte, bekam er es plötzlich mit der Angst zu tun.
Die Warnung des Mönchs klang noch in ihm nach, und er gestand sich zu guter Letzt ein, dass er recht überstürzt um Julias Hand angehalten hatte. Sosehr er sich danach sehnte, sie zur Frau zu nehmen, fragte er sich nun, ob Julia ihre spontane Zusage inzwischen nicht vielleicht bereute. Was, wenn sie zu dem Schluss käme, dass er naiv war und die Liebe ihn blind gemacht hatte? Würde sie ihn dann noch ernst nehmen?
Für jemanden, der schon in wenigen Stunden die Liebe seines Lebens heiraten wollte, fühlte er sich bemerkenswert unsicher.
Mit gesenktem Blick ging er schließlich auf sein Haus zu und trat dabei lose Schottersteine aus dem Weg. Er war nur noch ein paar Dutzend Schritte von der Haustür entfernt, als plötzlich ein Pfeil an seinem Kopf vorbeizischte und in einem nahen Baum stecken
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