Dein Blut auf meinen Lippen
Benvolio ihn an.
Romeo nahm wieder eine Kampfstellung ein, aber noch ehe er das Langschwert richtig positioniert hatte, attackierte ihn der Vampir ein weiteres Mal. Tybalt drehte sich in der Luft und versetzte Romeo einen so gewaltigen Schlag auf den Schädel, dass dem jungen Mann die Sinne schwanden. Er bekam weiche Knie, und ehe er sich’s versah, lag er flach auf dem Rücken. Das Schwert hielt er zwar noch in der Hand, aber er konnte nichts mehr erkennen, weil er nur noch Sterne sah. Dann verschwanden auch die Sterne, und ihm wurde schwarz vor Augen.
Er hörte die Menge johlen. Alle schrien etwas, aber er konnte es nicht verstehen, weil sich die Stimmen gegenseitig überlagerten. Er wusste, dass gleich eine weitere Attacke kommen würde, aber er wusste nicht, wie Tybalt vorgehen und aus welcher Richtung er angreifen würde.
Als Nächstes hörte Romeo den Vampir einen ohrenbetäubenden Schrei ausstoßen. Gleichzeitig spürte er den heißen Atem des Angreifers im Gesicht. In diesem Moment höchster Gefahr wurde sein Überlebensinstinkt plötzlich hellwach. Da er immer noch auf dem Rücken lag, waren seine Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, aber er packte sein Schwert mit beiden Händen und schwang es im hohen Bogen durch die Luft.
Einen winzigen Moment lang blieb es merkwürdig still. Dann hörte er neben sich auf dem Straßenpflaster zwei dumpfe Aufschläge. Gleich darauf brach die Zuschauermenge in Hurrageschrei aus, und Benvolio rief: "Gott segne Romeo! Gott segne Romeo!"
Ein paar Augenblicke danach konnte Romeo wieder sehen, und das Erste, worauf sein Blick fiel, war Tybalts abgetrennter Kopf, der keinen halben Meter neben seinem eigenen lag. Romeo wollte aufstehen, aber vor Schreck war er wie gelähmt.
Benvolio eilte ihm zur Hilfe und zog ihn hoch. "Du musst verschwinden, Romeo!", flüsterte er. "Versteck dich bei Bruder Lorenzo."
"O Gott, was habe ich getan?", murmelte Romeo und vergrub das Gesicht in seinen blutigen Händen.
In der Ferne läutete eine Kirchenglocke, und die Menge begann sich aufzulösen. Auch die beiden Vampire, die Tybalt begleitet hatten, machten sich aus dem Staub. Doch einige der Umstehenden blieben, um das weitere Geschehen verfolgen zu können.
"Hör gut zu, Cousin", sagte Benvolio eindringlich und schüttelte Romeo an den Schultern. "Das Läuten bedeutet, dass der Fürst mit seinem Gefolge in die Stadt eingeritten ist. Sie müssen jeden Moment hier sein. Ich werde sie aufhalten, aber du musst schnell ein sicheres Versteck finden."
Gehetzt blickte Romeo in alle Richtungen. Als er sah, dass die Tür der Schmiede sperrangelweit offen stand, lief er mit großen Schritten auf das Gebäude zu. Dort angekommen, schlüpfte er schnell hinein und zog die Tür hinter sich zu. Dann hockte er sich an ein Fenster und drapierte den Vorhang so, dass man ihn von draußen nicht sehen, er selbst aber beobachten konnte, was sich auf der Straße tat.
Benvolio forderte einige Männer auf, Tybalts Leichnam fortzuschaffen. Der Körper des Vampirs wurde schnell auf einen Karren geworfen, aber niemand wollte den Kopf anrühren. Es wurde hin und her gestritten; schließlich zogen einige Männer mit dem Karren davon und ließen den Kopf einfach liegen.
Romeo schloss kurz die Augen und versuchte sich zu beruhigen, doch stattdessen wurde ihm schlecht. Er wusste, dass die Montagues den Körper des Vampirs wie eine Trophäe aufbewahren würden. Es war eine Familientradition, die er immer schon verabscheut hatte.
Plötzlich hörte die Glocke auf zu läuten. Romeo beugte den Kopf und betete, dass dieser Albtraum bald zu Ende sein möge. Dann hörte er laute Stimmen auf der Straße. Vorsichtig änderte er seine Position, um besser sehen zu können.
Neben Benvolio und einem anderen Wirtshausbesucher stand jetzt Fürst Radu in seiner Paradeuniform. An den Gesichtern war unschwer abzulesen, dass eine hässliche Auseinandersetzung bevorstand. Sieben Soldaten, die auf schwarzen Rössern saßen und Uniformen der Armee von Radu trugen, warteten ein kleines Stück abseits, was die ganze Situation für Romeo noch bedrohlicher erscheinen ließ.
Mit dem Hemdsärmel wischte er sich Schweißperlen von der Stirn. Er fragte sich, welche Konsequenzen seine Tat wohl nach sich ziehen würde und ob er ihnen entgehen könnte.
Dann fiel sein Blick auf eine vornehme Vampirfrau, die voller Entsetzen auf Tybalts abgeschlagenen Kopf blickte. Je länger er sie ansah, desto deutlicher erkannte er ihre verblüffende
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